Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
Vom Netzwerk:
wird.«
    Roland blickte zurück in die Richtung, aus der er und David gekommen waren.
    »Wir haben Überreste von Soldaten gesehen, ungefähr einen halben Tagesritt von hier«, sagte er. »Nach ihren Abzeichen zu urteilen, müssen es Männer des Königs gewesen sein. Offenbar konnten sie nichts gegen dieses Ungeheuer ausrichten, obwohl sie gut ausgebildet und bewaffnet waren. Wenn ihr keine hohen, soliden Befestigungen habt, solltet ihr besser eure Häuser verlassen, bis die Bedrohung vorüber ist.«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Wir haben unsere Höfe, unser Vieh. Dort, wo wir leben, haben schon unsere Väter und deren Väter gelebt. Wir werden nicht all das verlassen, wofür wir so hart gearbeitet haben.«
    Roland sagte nichts weiter, aber David konnte förmlich hören, was er dachte: Dann werdet ihr sterben.
     
     
    David und Roland ritten neben den Männern her, unterhielten sich mit ihnen und ließen den Rest Alkohol aus Rolands Feldflasche herumgehen. Die Männer waren dankbar für die Freundlichkeit und erzählten im Gegenzug, was sie über die Veränderungen im Land und die neuartigen Kreaturen in Wald und Feldern wussten, die allesamt feindselig und hungrig waren. Sie sprachen auch von den Wölfen, die in der letzten Zeit immer dreister geworden waren. Einen von ihnen hatten die Jäger im Wald gefangen und getötet: einen Loup, einen Eindringling, der von weit her kam. Sein Fell war makellos weiß, und er trug Hosen aus Seehundleder. Bevor er starb, hatte er ihnen gesagt, er sei aus dem fernen Norden hierher gereist, und es würden noch mehr kommen, die seinen Tod rächen würden. Es war, wie der Förster David gesagt hatte: Die Wölfe wollten das Königreich für sich, und sie waren dabei, eine Armee aufzustellen, um es zu erobern.
    Als sie um eine Kurve kamen, lag das Dorf vor ihnen. Es war von Weiden umgeben, auf denen Kühe und Schafe grasten. Um den eigentlichen Ort war eine Mauer aus Baumstämmen errichtet worden, oben scharf zugespitzt, mit mehreren erhöhten Plattformen dahinter, von denen die Männer jeden beobachten konnten, der sich dem Dorf näherte. Aus den Schornsteinen der Häuser dahinter stiegen dünne Rauchfahnen auf, und auch ein Kirchturm ragte über die hölzerne Mauer. Roland wirkte nicht erfreut über den Anblick.
    »Hier praktizieren sie vielleicht noch den neuen Glauben«, sagte er leise zu David. »Aber um des lieben Friedens willen werde ich meine Überzeugungen für mich behalten.«
    Als sie sich dem Dorf näherten, erscholl jenseits der Mauer ein Ruf, und das Tor wurde geöffnet, um sie hineinzulassen. Kinder kamen herbeigelaufen, um ihre Väter zu begrüßen, und Frauen nahmen ihre Männer und Söhne mit Küssen in Empfang. Neugierig beäugten sie Roland und David, doch bevor irgendjemand dazu kam, sie anzusprechen, fing eine Frau an zu jammern und zu weinen, weil sie unter den Jägern den Ihren nicht finden konnte. Sie war jung und sehr hübsch, und zwischen ihren Schluchzern rief sie immer wieder einen Namen: »Ethan! Ethan!«
    Der Anführer der Jäger, der Fletcher hieß, trat auf David und Roland zu. Seine Frau blieb dicht bei ihm, froh, dass ihr Mann unversehrt heimgekehrt war.
    »Ethan war der Mann, den wir unterwegs verloren haben«, sagte er. »Die beiden wollten heiraten. Jetzt hat sie nicht einmal ein Grab, an dem sie um ihn trauern kann.«
    Die anderen Frauen scharten sich um die Weinende, um sie zu trösten. Sie brachten sie in eines der umstehenden kleinen Häuser, und die Tür schloss sich hinter ihnen.
    »Kommt«, sagte Fletcher. »Hinter meinem Haus ist ein Stall, da könnt ihr schlafen, wenn es euch recht ist, und heute Abend seid ihr Gäste an meinem Tisch. Danach allerdings müsst ihr weiterreiten, denn ich habe kaum genug, um meine eigene Familie zu ernähren.«
    Roland und David dankten und folgten ihm durch die engen Gassen, bis sie zu einem weiß gestrichenen Holzhaus kamen. Fletcher führte sie zum Stall und zeigte ihnen, wo sie Wasser, frisches Stroh und ein wenig schimmeligen Hafer für Scylla finden konnten. Roland nahm der Stute den Sattel ab und vergewisserte sich, dass sie versorgt war, bevor er und David sich in einem Trog wuschen. Ihre Kleider rochen, aber während Roland noch Sachen zum Wechseln dabeihatte, besaß David nur das, was er am Leib trug. Als Fletchers Frau das hörte, brachte sie David ein paar alte Kleider ihres Sohnes, denn der war inzwischen siebzehn und hatte selbst Frau und Kind. Gewaschen und frisch gekleidet fühlte David

Weitere Kostenlose Bücher