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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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Schwein mit einem Apfel in der Schnauze. Dazwischen waren Platten mit Fisch und kaltem Braten angerichtet und große Schüsseln mit dampfendem Gemüse. Das alles duftete so verführerisch, dass David seinem knurrenden Magen nicht widerstehen konnte und den Raum betrat. Jemand hatte angefangen, einen der Truthähne zu tranchieren, denn die Schenkel waren ausgelöst, und von der Brust waren dünne Scheiben des weißen Fleisches abgeschnitten worden, die zart und verlockend auf einem Teller lagen. David nahm sich eine davon und wollte gerade hineinbeißen, als er ein Insekt bemerkte, das über den Tisch lief. Es war eine große rote Ameise, die auf ein Stückchen Haut zusteuerte, das von dem Truthahn gefallen war. Sie packte den knusprigen braunen Happen mit ihrem Kiefer und wollte ihn davonschleppen, doch plötzlich schien sie zu straucheln, als wäre die Last schwerer, als sie gedacht hatte. Sie ließ das Hautstückchen fallen, taumelte noch ein paar Schritte weiter, dann blieb sie reglos liegen. David stieß sie mit dem Finger an, doch die Ameise rührte sich nicht mehr. Sie war tot.
    David ließ die Scheibe Truthahn fallen und wischte sich hastig die Finger ab. Bei genauerem Hinsehen stellte er fest, dass der ganze Tisch übersät war mit toten Insekten. Überall auf dem Holz und den Tellern lagen Fliegen und Käfer und Ameisen, vergiftet von etwas, das sich in dem Essen befand. David wich vom Tisch zurück. Er hatte keinen Hunger mehr.
    Doch der nächste Raum, in den er hineinsah, war noch verstörender. Es war ein perfektes Abbild seines Zimmers in Roses Haus, bis hin zu den Büchern in den Regalen, allerdings ordentlicher, als Davids Zimmer es je gewesen war. Das Bett war gemacht, aber die Kissen und Laken waren leicht vergilbt und mit einer dünnen Staubschicht bedeckt. Auch auf den Regalen lag Staub, und als David den Raum betrat, hinterließ er Spuren auf dem Boden. Ihm gegenüber war das Fenster, das auf den Garten hinausging. Es stand offen, und von draußen hörte man Lachen und Singen. Er ging darauf zu und blickte hinaus. Unten im Garten tanzten drei Leute im Kreis: Davids Vater, Rose und ein Junge, den David nicht erkannte, von dem er aber sofort wusste, dass es nur Georgie sein konnte. Georgie war jetzt älter, vielleicht vier oder fünf, aber noch immer ein pausbäckiges Kind. Er strahlte, als seine Eltern mit ihm tanzten. Sein Vater hielt seine rechte Hand, Rose seine linke, und die Sonne schien von einem makellos blauen Himmel auf sie hinunter.
    »Georgie-Porgie, süßer Fratz«, sangen sie, »bist doch unser größter Schatz!«
    Und Georgie jauchzte vor Freude, während die Bienen summten und die Vögel sangen.
    »Sie haben dich vergessen«, sagte die Stimme von Davids Mutter. »Das war dein Zimmer, aber jetzt kommt niemand mehr hierher. Anfangs war dein Vater noch ein paar Mal hier, aber dann hat er sich damit abgefunden, dass du fort warst, und sein Glück bei seinem anderen Kind und seiner neuen Frau gefunden. Sie ist wieder schwanger, auch wenn sie es noch nicht weiß. Georgie wird eine Schwester bekommen, und dann hat dein Vater wieder zwei Kinder, sodass er die Erinnerungen an dich nicht mehr braucht.«
    Die Stimme schien von überall und nirgends herzukommen, aus David selbst und aus dem Flur, vom Boden unter seinen Füßen und von der Decke über seinem Kopf, von den Steinen in den Mauern und den Büchern in den Regalen. Einen Augenblick sah David seine Mutter sogar in der Fensterscheibe, ein blasses Spiegelbild von ihr, wie sie hinter ihm stand und über seine Schulter blickte. Als er sich umdrehte, war niemand dort, doch das Spiegelbild in der Scheibe blieb sichtbar.
    »Es muss nicht so sein«, sagte die Stimme seiner Mutter. Die Lippen des Spiegelbilds bewegten sich, doch sie schienen etwas anderes zu sagen, denn ihre Bewegungen passten nicht zu den Worten, die David hörte. »Zeige noch ein wenig Tapferkeit und Stärke. Finde mich hier, und dann können wir unser altes Leben zurückhaben. Rose und Georgie werden verschwinden, und wir beide nehmen ihre Plätze ein.«
    Die Stimmen aus dem Garten, das Lachen und Singen, waren verstummt. Als David hinunterblickte, sah er, wie sein Vater den Rasen mähte, während seine Mutter Rosen von einem Strauch schnitt und die roten Blüten in einen Korb zu ihren Füßen legte. Und auf einer Bank zwischen ihnen saß David, über ein Buch gebeugt.
    »Siehst du? Siehst du, wie es sein könnte? Und jetzt komm, wir sind schon viel zu lange getrennt gewesen.

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