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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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spitzen Zähne.
    »Danke«, sagte sie. Ihre Stimme war sanft und leise, aber in ihren Worten lag ein zischender Unterton, als hätte eine Schlange die Gabe der Sprache erhalten. »Ssso ein hübscher Junge. Und ssso tapfer.«
    David wich zurück, doch mit jedem Schritt, den er sich entfernte, trat die Frau einen auf ihn zu, sodass der Abstand zwischen ihnen unverändert blieb.
    »Findessst du mich nicht schön?«, fragte sie. Sie neigte ein wenig den Kopf und zog eine beunruhigte Miene. »Gefalle ich dir nicht? Komm, küsss mich noch einmal.«
    Sie war Rose, aber auch wieder nicht. Sie war Nacht ohne das Versprechen des Morgens, Dunkelheit ohne Licht. David griff nach seinem Schwert, dann bemerkte er, dass es noch auf dem Altar lag. Um es zu holen, musste er irgendwie an der Frau vorbei, und er wusste instinktiv, wenn er sich ihr näherte, würde sie ihn töten.
    Sie schien seine Gedanken zu erraten, denn ihr Blick wanderte zu dem Schwert. »Dasss brauchssst du nicht mehr«, sagte sie. »Noch nie issst ein ssso Junger ssso weit gekommen. Ssso jung und ssso schön.«
    Ihr schlanker Zeigefinger, dessen Nagel blutrot glänzte, berührte ihre Lippen.
    »Hier«, flüsterte sie. »Küsss mich hierhin.«
    David sah, wie sein Spiegelbild in ihren dunklen Augen versank, in die Tiefe gezogen wurde wie in einen Strudel, und er wusste, welches Schicksal ihn erwartete. Er drehte sich um und sprang die letzten Stufen hinunter, knickte allerdings bei der Landung mit dem rechten Knöchel um. Es tat ziemlich weh, aber davon würde er sich nicht aufhalten lassen. Vor ihm auf dem Boden lag das Schwert von einem der toten Ritter. Nur ein paar Schritte, dann –
    Eine Gestalt glitt über ihn hinweg, der Saum eines Kleides streifte seinen Kopf, und die Frau war wieder vor ihm. Ihre bloßen Füße berührten den Boden nicht. Sie schwebte in der Luft, rot und schwarz, Blut und Nacht. Jetzt lächelte sie nicht mehr. Sie öffnete die Lippen, bleckte die Zähne, und plötzlich schien ihr Mund größer als zuvor, hatte endlose Reihen spitzer Zähne wie das Maul eines Haifischs.
    Ihre Hände streckten sich David entgegen. »Ich will meinen Kusss«, sagte sie. Sie grub die Fingernägel in seine Schultern, und ihr Kopf näherte sich seinen Lippen.
    David griff in seine Jackentasche. Seine rechte Hand fuhr durch die Luft, und die Kralle des Ungeheuers riss eine klaffende Wunde in das Gesicht der Frau. Doch es kam kein Blut, nicht ein einziger Tropfen. Sie schrie auf und presste die Hand auf die Wange, während David erneut ausholte und ihr über die Augen fuhr. Die Frau ging mit den Fingernägeln auf ihn los und schlug ihm die Kralle des Ungeheuers aus der Hand. David rannte auf den Torbogen zu, nur noch den Gedanken im Kopf, in den stockfinsteren Flur zu flüchten und sich irgendwie zu der Treppe vorzutasten. Doch die Ranken schlängelten und wanden sich ihm in den Weg, sodass er mit der Frau in dem Saal gefangen war.
    Sie schwebte immer noch in der Luft, die Arme zur Seite ausgestreckt, Augen und Gesicht entstellt. Lautlos schlich David vom Torbogen auf das am Boden liegende Schwert zu. Die blicklosen Augen der Frau folgten ihm.
    »Ich kann dich riechen«, sagte sie. »Du wirssst bezahlen für dasss, wasss du mir angetan hassst.«
    Mit schnappenden Zähnen und wild um sich greifend flog sie auf David zu. David wich erst nach rechts aus, dann nach links, in der Hoffnung, sie austricksen und das Schwert greifen zu können, doch sie durchschaute seine Taktik und kam ihm zuvor. Sie bewegte sich so schnell hin und her, dass sie nur noch ein verschwommener Umriss in der Luft war, attackierte ihn, schnitt ihm den Weg ab und zwang ihn zurückzuweichen, bis er mit dem Rücken vor den Dornen stand und sie nur noch eine Armeslänge von ihm entfernt war. David spürte, wie die Spitzen der Dornen sich in seinen Rücken bohrten, scharf und lang wie Speere. Er konnte ihr nicht mehr entkommen. Die Hand der Frau fuhr durch die Luft, nur einen Fingerbreit vor seinem Gesicht.
    »Jetzt gehörssst du mir«, zischte sie. »Ich werde dich lieben, und du wirssst dabei sterben.«
    Sie reckte sich zu voller Größe, riss den Mund so weit auf, dass ihr Kopf sich in zwei Hälften zu spalten schien, und stürzte sich mit gefletschten Zähnen auf Davids Kehle. David wartete, bis sie auf ihn losging, dann warf er sich im allerletzten Moment zu Boden. Ihr Kleid bedeckte sein Gesicht, so dass er nichts sehen konnte. Er hörte nur ein Geräusch, wie wenn eine verfaulte Frucht

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