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Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Titel: Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R.R. Tolkien
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fehlt. Freilich muss auf einen grundsätzlichen Unterschied hingewiesen werden: Im Silmarillion (S. 73) hatten die Vanyar Tirion längst verlassen, um auf Taniquetil oder in Valinor Wohnung zu nehmen; hiervon findet sich in der alten Geschichte keine Spur; und natürlich gibt es den zentralen strukturellen Unterschied zwischen der frühen und der späten Geschichte – als Feanors Aufruhr stattfindet, strahlen noch die Bäume in Valinor.
    In der Geschichte scheint nach dem Verlust der Schätze der Noldoli eine geraume Zeit zu verstreichen, in der sie mit verminderter Freude aufs Neue an die Arbeit gingen und Feanor vergeblich versuchte, die Silmaril neu zu erschaffen. Dieses Element musste natürlich in der späteren, erheblich strafferen Erzählung verschwinden, in der Feanor (der sich weigert, den Valar die Silmaril zur Heilung der Bäume auszuhändigen und noch nicht weiß, dass Melkor siegestohlen hat) weiß, dass sein Versuch, sie neu zu erschaffen, ebenso vergeblich sein wird wie der von Yavanna, die Bäume zu erneuern.
    Der Bote Feanors und anderer Noldoli, der von Manwe forderte, die Götter sollten sie in die Großen Lande zurückschaffen, wurde gestrichen und damit auch Manwes bemerkenswerte Mitteilung über die Ankunft der Menschen – und seine ausdrückliche Abneigung, die Eldar in »die Welt« zurückkehren zu lassen, solange die Menschen noch im Stand der Unmündigkeit waren. Nichts davon wird Manwe im Silmarillion zugesprochen (und es fehlt auch jeder Hinweis darauf, dass Manwes Wissen so groß war); in der alten Geschichte sind es gerade Manwes Beschreibung der Menschen und sein rücksichtsvolles Verhalten ihnen gegenüber, die Feanor Anlass zu seinen rhetorischen Ausfällen gegen diese und seinen Behauptungen über die wahren Beweggründe der Valar, die Eldar nach Valinor zu bringen, den starken Akzent geben; im Silmarillion (S. 79) gehören diese zu den Lügen Melkors. (Ich habe bereits angemerkt, dass sich in Melkors Ansprache an die Noldor kein Hinweis auf das Kommen der Menschen findet.)
    Ein ansonsten unbekanntes Element der Musik der Ainur wird in Manwes Worten deutlich: dass »die Welt am Ende für lange Zeit unter das Szepter der Menschen kommen« werde. In der ursprünglichen Version finden sich verschiedene bezeichnende Hinweise darauf, dass alles vorherbestimmt war: So wird die Eifersucht der Elben und Menschen als ein vielleicht notwendiger Teil der Entfaltung der Geschichte der Welt betrachtet; und an einer früheren Stelle (S. 234) wird gefragt: »Fürwahr, wer konnte sagen, ob nicht all dies, sogar die scheinbar nutzlose Bosheit Melkos, nicht Teil der ursprünglichen Bestimmung war?«
    Doch trotz aller radikaler Veränderungen in der Geschichte blieb die charakteristische Note der Beredsamkeit Feanors erhalten; seine Ansprache an die Noldoli von Kôr weist den gleichen Duktus auf wie seine Rede bei Fackelschein an die Noldor von Tirion ( Das Silmarillion, S. 94f.).
    An der Geschichte von Melko und Ungoliont wird klar, dass wesentliche Elemente von Anfang an vorhanden waren: die Ungewissheit über ihre Herkunft, ihr Aufenthalt in den verlassenen Gebieten im Süden der Äußeren Lande, ihr Aufschlecken von Licht zur Schaffung von Geweben aus Dunkelheit; ihr Bündnis mit Melko, wie ersie mit den von den Noldoli gestohlenen Gemmen belohnte (obgleich dies später anders erzählt wurde) und wie Melko die Bäume durchbohrte und Ungoliont das Licht aufsog; und die große Verfolgungsjagd der Valar zu Pferde, die wegen Dunkelheit und Nebel erfolglos blieb und es Melko ermöglichte, über die nördlichen Wege aus Valinor zu entfliehen.
    Innerhalb dieses Ablaufs gibt es wie fast immer viele Unterschiede zwischen der ersten Geschichte und den späteren Versionen. Im Silmarillion (S. 85) begab sich Melkor nach Avathar, weil er wusste, dass Ungoliant dort hauste, wogegen sie ihn in der frühen Fassung dort findet, als er umherirrt und nach einem Fluchtweg sucht. In der Geschichte ist ihre Herkunft unbekannt, und obgleich dieses Element sich, wie gesagt, im Silmarillion erhalten hat (»Die Eldar wussten nicht, woher sie kam …«, S. 85), wird in Wirklichkeit durch den Kunstgriff (»… manche haben gesagt …«) eine eindeutige Erklärung geliefert: Sie war ein Wesen, das »er gleich zu Anfang verführte, ihm zu dienen« (ebd.). Die ursprüngliche Vorstellung von einer »urweltlichen Geisterfrau Móru« (S. 250) wird durch einen Eintrag in der frühen Wörterliste der gnomischen Sprache deutlich, wo

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