Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
Insel, wo der Turm von Tavrobel an den Flüssen steht 2 und wo die Gnomen noch als einziges Volk wohnten und den Orten Namen in ihrer eigenen Sprache gaben. Gilfanon pflegte diesen Landstrich den schönsten der ganzen Insel und die Gnomen ihr bestes Volk zu nennen, obgleich er, bevor er zu dem Volk hierhergekommen war, lange fern von den Noldoli sich aufgehalten hatte, mit den Ilkorin in Hisilóme und Artanor 3 gewandert und darum, wie nur wenige Elben es tun, ein großer Freund und Gefährte der Kinder und Menschen jener Tage geworden war. Ihre Sagen und Erinnerungen vermehrte er um sein eigenes Wissen, denn einst in den fernen Tagen von Kôr war er tief vertraut gewesen mit vielen Überlieferungen und Sprachen, und er besaß überdies Kenntnis von vielen sehr alten Ereignissen; er war in der Tat einer der ältesten der Feen, 4 und der älteste zugleich, der nun auf der Insel lebte, wenn auch Meril den Titel ›Herrin der Insel‹ wegen ihrer edlen Herkunft trug.
Darum gab Lindo nun Eriol zur Antwort: »Höre, Gilfanon, der unter uns ist, kann dir viel von diesen Dingen erzählen, und es wäre gut, wenn du mit ihm von hier aufbrechen und dich eine Zeitlang in Tavrobel aufhalten würdest. – Nein, sieh mich nicht so an«, fuhr er lachend fort, als er Eriols Gesicht sah, »denn wir vertreiben dich noch nicht – wahr ist aber, dass es für einen, der limpe trinken will, klug wäre, zuerst die Gastfreundschaft Gilfanons zu suchen, in dessen altem Haus – das Haus der Hundert Kamine, das nahe der Brücke von Tavrobel steht 5 – vielleicht von vielen Dingen zu hören ist, die vergangen sind und die noch kommen werden.«
»Mir scheint«, sagte Gilfanon zu Eriol, »dass Lindo versucht, sich auf der Stelle von zwei Gästen zu befreien; jetzt jedenfalls kann er es noch nicht tun, denn ich beabsichtige, eine Woche in Kortirion zu bleiben, mich inzwischen überdies an seiner guten Tafel zu ergötzen und mich ebenfalls am Feuer der Geschichten auszustrecken – danach werden du und ich vielleicht fortgehen, und du sollst die ganze Lieblichkeit der Elbeninsel schauen –, doch nun möge Lindo seine Stimme erheben und uns noch mehr vom Glanz der Götter erzählen und von ihren Werken, wovon zu sprechen er nie müde wird.«
Darüber war Lindo sehr erfreut, denn, um die Wahrheit zu sagen, er liebte es, diese Geschichten zu erzählen und suchte oft nach einer Gelegenheit, sie aufs Neue vorzutragen. Und also sagte er: »So will ich denn die Geschichte von der Sonne, dem Mond und den Sternen erzählen, auf dass Eriols Wunsch in Erfüllung gehe.« Und dieser war guter Dinge, doch Gilfanon sagte: »Sprich weiter, mein Lindo – doch ziehe die Geschichte nicht über die Maßen in die Länge.«
Da erhob Lindo die Stimme, 6 und er war von allenGeschichtenerzählern derjenige, dem man mit dem größten Vergnügen zuhörte. Und er sagte: 35
»Ich erzähle eine Geschichte aus jener Zeit der ersten Flucht der Gnomen, und hört nun, was geschah, als sie gerade fort waren. Die schmerzliche Nachricht kam nun zu den Göttern und den anderen Elben, und zuerst wollte niemand sie glauben. Jedoch es kamen immer noch mehr Nachrichten, und viele verschiedene Boten brachten sie. Einige waren Teleri, welche Feanors Ansprache auf dem Platz in Kôr mit angehört und gesehen hatten, wie die Noldoli mit allem, was sie tragen konnten, von dort aufbrachen; andere waren Solosimpi, und diese brachten die bittere Nachricht vom Raub der Schwanenschiffe, dem schrecklichen Sippenmord am Hafen und vom Blut, das die weißen Strände von Alqalunte bedeckte
Schließlich kam ein Eilbote von Mandos, der den traurigen Zug nahe der Strände von Amnor erblickt hatte, und die Götter wussten, dass die Gnomen in weiter Ferne waren, und Varda und alle Elben weinten, denn jetzt erschien ihnen die Dunkelheit wirklich schwarz und dies umso mehr, als das äußere Licht der schönen Bäume erloschen war.
Merkwürdig ist es zu erzählen, dass Aule, obgleich er die Noldoli über allen Elben geliebt, sie alles, was er wusste, gelehrt und ihnen große Schätze geschenkt hatte, nun sein Herz am meisten gegen sie kehrte, denn er hielt sie für undankbar, weil sie ohne Abschied von ihm gegangen waren, und ihre bösen Taten gegen die Solosimpi hatten ihn tief verletzt. ›Sprecht niemals wieder‹, sagte er, ›in meiner Gegenwart den Namen der Noldoli aus.‹ Trotzdem schenkte er seine Liebe weiterhin den wenigen getreuen Gnomen, die bei seinenHallen zurückgeblieben waren, doch
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