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Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Titel: Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R.R. Tolkien
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die kahlen Hänge und steinigen Flüsse lagen in blendendem Glanz, und die Götter waren erstaunt. Ein großer wundersamer Zauber ging in jenen Tagen der hellen Urwendi von der Sonne aus, doch er war nicht so zart und köstlich rein wie einst der des Baumes Laurelin; und so erhob sich ein Raunen neuer Unzufriedenheit in Valinor, und böse Worte machten unter den Kindern der Götter die Runde, denn Mandos und Fui waren erzürnt. Aule und Varda, so sagten sie, mischten sich immer in die rechte Ordnung der Welt ein und machten sie zu einem Ort, wo für stille oder friedliche Schatten kein Raum mehr sei; Lórien jedoch saß und weinte in einem Hain von Bäumen im Schatten von Taniquetil und betrachtete seine Gärten, die sich darunter erstreckten, noch immer durch die große Jagd der Götter verwüstet, denn er hatte es nicht übers Herz gebracht, sie wiederherzustellen. Dort waren die Nachtigallen verstummt, denn die Hitze flirrte über den Bäumen, seineMohnpflanzen waren verdorrt, und seine Abendblumen waren welk und dufteten nicht mehr; und Silmo stand traurig neben Telimpe, der nicht wie vom Tau Silpions leuchtete, sondern kränklich schimmerte wie ein stilles Gewässer, so überwältigend war das harte Tageslicht. Da erhob sich Lórien und sagte Manwe: ›Rufe dein funkelndes Schiff zurück, o Herr des Himmels, denn unsere Augen schmerzen in seinem sengenden Licht, und Schönheit und sanfter Schlaf sind uns weit entrückt. Lieber in Dunkelheit und in Erinnerungen leben als so, denn dies ist nicht die alte Lieblichkeit von Laurelin, und Silpion ist nicht mehr.‹ Auch die anderen Götter waren nicht vollkommen zufrieden, denn in ihren Herzen wussten sie, dass sie etwas Größeres geschaffen hatten, als sie anfangs geahnt hatten, und niemals wieder würde Valinor solche Zeitalter erleben wie die vergangenen; und Vána sagte, dass Kulullins Quell glanzlos geworden sei, ihr Garten in der Sonne welke und ihre Rosen die Tönungen und Düfte verlören, denn damals kam die Sonne der Erde näher als heute.
    Da tadelte Manwe sie wegen ihrer Wankelmütigkeit und Unzufriedenheit, doch sie waren nicht besänftigt; und plötzlich ergriff Ulmo das Wort, der aus der äußeren Vai gekommen war: ›Manwe, Gebieter, weder deine Worte noch die ihren sind zu tadeln. Habt ihr denn noch nicht begriffen, o Valar, worin viel von der Schönheit der alten Bäume lag? – Im Wandel, in der allmählichen Veränderung des Schönen, bei der das Vergehende auf liebliche Weise sich mit dem Kommenden mischte.‹
    Doch Lórien sagte plötzlich: ›O Valatúru, der Gebieter über Vai spricht weisere Worte als je zuvor, und sie erfüllen mich mit großem Verlangen.‹ Und darauf verließ er sie und ging hinaus auf die Ebene; und damals waren drei Tageszeiten vergangen, in denen der Laurelin früher dreimal geblüht hätte, seit dasSchiff des Morgens die Anker gelichtet hatte. Lórien aber saß vier weitere Tageszeiten lang neben dem Wurzelstock von Silpion, und verstohlen sammelten sich die Schatten um ihn, denn die Sonne war weit im Osten, durchfuhr die Himmel, wie es ihr gelüstete, weil Manwe bis jetzt ihre Bahn noch nicht festgesetzt und es Urwendi überlassen hatte, den Kurs zu wählen, der ihr gut erschien. Doch selbst damit ist Lórien nicht zufrieden, obgleich die Dunkelheit der Gebirge über die Ebene kriecht, ein Dunst von der See herbeizieht und ein verschwommenes, huschendes Dämmerlicht sich wieder in Valinor sammelt; er aber sitzt lange und grübelt, warum die Zaubersprüche Yavannas nur auf Laurelin gewirkt haben.
    Dann wandte sich Lórien mit einem Lied an Silpion, in dem es hieß, die Valar seien gefangen »in einer Wüste aus Gold und Hitze oder in Schatten voller Tod und unfreundlicher Düsternis«, und er berührte die Wunde am Stamm.
    Seht! Kaum hatte er die grausame Wunde berührt, als dort ein schwaches Licht aufglühte, so als rege sich noch strahlender Saft darin, doch ein niedriger Zweig über Lóriens gesenktem Haupt schlug plötzlich aus, Blätter sehr dunklen Grüns, lang und oval, sprossen und entfalteten sich auf ihm; der ganze übrige Baum aber blieb kahl und tot und ist es seitdem immer gewesen. Nun waren zu dieser Zeit sieben mal sieben Tage vergangen, seit die Frucht des Mittags auf dem Laurelin geboren wurde, und viele der Eldar, der Geister und der Götter kamen herbei und lauschten Lóriens Gesang; doch er beachtete sie nicht und starrte auf den Baum.
    Und siehe! Seine neuen Blätter waren mit einer silbrigen

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