Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
dass ich fürchte, dass ich außerstande sein werde, dich weiter zu tragen‹; es verhielt sich aber so, dass Tinúviel in ihr Gewand aus düsterem Nebel gekleidet war.
So sprach Umuiyan 2 , gähnte gewaltig und streckte sich, bevor er Tinúviel über die Terrasse zu einem freien Platz führte, wo auf einer geräumigen Lagerstatt aus gebrannten Steinen die furchteinflößende Gestalt Tevildos lag, dessen tückische Augen geschlossen waren. Der Torwächter Umuiyan ging zu ihm, näherte sich seinem Ohr und sagte leise:
›Ein Mädchen erbittet Eure geneigte Aufmerksamkeit, mein Fürst, das Euch wichtige Neuigkeiten zu überbringen hat und das sich von mir nicht zurückweisen ließ.‹ Da peitschte Tevildo wütend mit dem Schwanz und öffnete ein Auge zur Hälfte. ›Was es auch sei – beeil dich damit‹, sagte er, ›denn es ist nicht die Stunde, Tevildo, den Fürsten der Katzen, um Gehör zu bitten.‹
›Nein, Fürst‹, sagte Tinúviel bebend, ›sei nicht böse; freilich glaube ich auch nicht, dass du böse sein wirst, wenn du mich angehört hast. Indessen verhält es sich so, dass ich hier, wo der Wind weht, lieber nicht sprechen möchte‹, und sie warf einen Blick, der Besorgnis verraten sollte, zum Wald hinüber.
›Nein, du kannst gehen‹, sagte Tevildo, ›du riechst nach Hund, und welche guten Nachrichten hat je eine Katze von einer Fee erhalten, die mit einem Hunde Umgang gehabt hat?‹
›Wohlan, Fürst, es ist nicht verwunderlich, dass ich nach Hund rieche, denn gerade bin ich einem Hund entkommen – und wahrlich, es ist ein bestimmter, sehr mächtiger Hund, von dem ich sprechen wollte, und dessen Namen du kennst.‹ Da fuhr Tevildo auf und öffnete seine Augen und blickte sich nach allen Seiten um und streckte sich dreimal, und schließlich befahl er dem Torwächter, Tinúviel ins Innere des Hauses zu geleiten; und wie zuvor nahm Umuiyan sie auf seinen Rücken. Nun befiel Tinúviel heftige Furcht, denn sie hatte zwar erreicht, was sie wollte, indem sie in Tevildos Festung gelangte und vielleicht herausfand, ob Beren dort war, doch sie wusste weder, wie es weitergehen sollte noch was aus ihr werden würde – wäre es ihr möglich gewesen, so wäre sie tatsächlich geflohen; doch schon begannen die Katzen die Terrassen zum Schloss hinaufzusteigen, und Umuiyan, der sie trug, machte einen Satz, dann einen zweiten, und beim dritten strauchelte er, so dass Tinúviel vor Angst aufschrie und Tevildo sagte: ›Was hast du für Beschwerden, Umuiyan, du ungeschickter Tölpel? Es ist Zeit, dass du aus meinen Diensten trittst, da das Alter dich so rasch überkommt.‹ Aber Umuiyan erwiderte: ›Ach, Herr, ich weiß nicht, was es ist, aber ich habe einen Schleier vor meinen Augen, und mein Kopf ist schwer‹, und er schwankte wie ein Trunkener, so dass Tinúviel von seinem Rücken glitt, während er sich wie in einem totenähnlichen Schlaf auf den Boden legte; Tevildo aber war zornig, packte Tinúviel nicht allzu sanft und trug sie selbst zum Tor. Dann sprang er mit einem mächtigen Satz ins Innere, gebot dem Mädchen abzusteigen und stieß einen gellenden Schrei aus, der in den dunklen Fluren und Gängen schrecklich widerhallte. Von überalleilten Katzen herbei, und einigen befahl er, zu Umuiyan hinabzusteigen, ihn zu fesseln und von den Felsen zu stürzen. ›Auf der nördlichen Seite, wo sie am steilsten sind, denn er ist mir nun nicht mehr von Nutzen‹, sagte er, ›denn das Alter hat seine Schritte unsicher gemacht‹; und Tinúviel erzitterte, als sie Zeuge der Unbarmherzigkeit dieses Ungeheuers wurde. Doch während er noch sprach, gähnte er seinerseits und schwankte, wie von jäher Schläfrigkeit heimgesucht, und er befahl den anderen, Tinúviel hinwegzuführen in ein bestimmtes Gemach im Hausinneren, wo er selbst gewöhnlich mit seinen größten Gefolgsleuten zu speisen pflegte. Es war voller Knochen und stank ekelhaft; es gab dort keine Fenster und nur eine Tür; doch eine Luke öffnete sich zu den großen Küchen, und ein rotes Licht sickerte von dort herein und erhellte trübe das Gemach.
Nun war Tinúviel so eingeschüchtert, nachdem die Katzen sie dort alleingelassen hatten, dass sie sich einen Augenblick lang nicht rühren konnte. Doch bald hatte sie sich an die Dunkelheit gewöhnt, sah sich um, und als sie die Luke erblickte, die ein breites Sims hatte, sprang sie hinauf, denn es war nicht allzu hoch, und sie war ein behendes Elbenmädchen. Nun spähte sie hindurch, denn die Luke war einen
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