Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
umgab, wurde sie nicht von solchen Gefahren heimgesucht wie zuvor Beren; doch für ein junges Mädchen war es eine lange und schlimme und mühselige Reise, die sie auf sich nahm.
Nunmehr soll dir berichtet werden, Eriol, dass in jenen Tagen es für Tevildo nur einen Grund zur Besorgnis gab: das Geschlecht der Hunde. In der Tat waren viele von ihnen den Katzen weder freundlich noch feindlich gesinnt, denn sie waren nun Melko untertan und ebenso wild und grausam wie seine anderen Tiere; und so züchtete er aus den grausamsten und wildesten der Hunde die Rasse der Wölfe, und diese waren ihm überaus teuer. War es nicht der große, graue Wolf Karkaras Messerrachen, Vater der Wölfe, der in jenen Tagen die Tore von Angamandi bewachte und es schon seit langem tat? Es gabfreilich viele Hunde, die sich Melko nicht unterwarfen oder in tiefer Furcht vor ihm lebten, und diese wohnten bei den Menschen, beschützten sie vor vielem Bösen, das ihnen sonst zugestoßen wäre, oder sie streiften durch die Wälder von Hisilóme und gelangten zuweilen gar, wenn sie das gebirgige Land überquerten, in das Gebiet von Artanor und in die Länder, die weiter im Süden lagen.
Jedes Mal, wenn einer dieser Hunde Tevildo oder einen seiner Gefolgsleute oder Untertanen zu Gesicht bekam, erhob sich ein gewaltiges Gebell, und eine stürmische Jagd begann; und obgleich selten eine der Katzen getötet wurde, weil sie sich geschickt zu verstecken und zu klettern wussten und Melkos Macht sie schützte, herrschte gleichwohl große Feindschaft zwischen Katzen und Hunden, und einige dieser Hunde waren unter den Katzen sehr gefürchtet. Tevildo indessen fürchtete niemanden, denn er war so stark wie jeder Hund, beweglicher und schneller, ausgenommen nur Huan, der Anführer der Hunde. Huan war so flink, dass er Tevildo schon einmal am Fell gepackt hatte, und obgleich er ihm dafür einen Hieb mit seinen gewaltigen Krallen versetzt hatte, war der Stolz des Fürsten der Katzen dennoch unbefriedigt geblieben, und es gelüstete ihn danach, dem Hunde Huan bitteres Leid zuzufügen.
Darum war es ein glücklicher Zufall, der Tinúviel in den Wäldern mit Huan zusammentreffen ließ, obgleich sie zuerst zu Tode erschrocken war und entfloh. Doch Huan hatte sie mit zwei Sprüngen eingeholt und bat sie mit weicher, tiefer Stimme in der Sprache der Verschollenen Elben, sich nicht zu fürchten. ›Wie kommt es‹, sagte er, ›dass ich ein Elbenmädchen, dazu ein so schönes, allein in der Nähe der Behausungen des Ainu der Bosheit umherwandern sehe? Weißt du nicht, dass dies unheilvolle Orte sind, meine Kleine, selbst mit einem Begleiter, und dass sie für einen Einzelnen tödlich sind?‹
›Das weiß ich‹, erwiderte sie, ›und ich bin nicht hier, weil ich das Umherwandern liebe, sondern weil ich Beren suche.‹
›Was weißt denn du von Beren‹, sagte Huan, ›oder solltest du wirklich Beren meinen – den Sohn des Jägers der Elben, Egnor bo-Rimion, der mein Freund ist seit uralten Tagen?‹
›Ach, ich weiß nicht einmal, ob mein Beren dein Freund ist, denn ich suche nur Beren, der über die Rauhen Berge kam, den ich in den Wäldern nahe dem Hause meines Vaters kennengelernt habe. Nun ist er fortgegangen, und meine Mutter Gwendeling, die sehr weise ist, sagt, dass er ein Sklave ist im schrecklichen Haus von Tevildo, dem Fürsten der Katzen; und ob das wahr ist oder ob ihm inzwischen noch Schlimmeres zugestoßen ist, weiß ich nicht, und ich bin auf dem Wege, ihn zu finden – obgleich ich keinen Plan habe.‹
›Dann werde ich dir einen machen‹, sagte Huan, ›aber du musst mir vertrauen, denn ich bin Huan von den Hunden, der größte Feind Tevildos. Nun ruhe ein wenig mit mir im Schatten des Waldes, und ich werde gründlich nachdenken.‹
Da tat Tinúviel, wie er ihr geheißen hatte, und sie schlief in der Tat lange, da sie sehr erschöpft war, während Huan bei ihr wachte. Doch nach einer Weile erwachte sie und sagte: ›Höre, ich habe über Gebühr lange gesäumt. Sage mir nun, o Huan, was du inzwischen bedacht hast.‹
Und Huan sprach: ›Das ist eine verworrene und schwierige Sache, und ich habe keine andere Lösung als diese: Krieche nun, wenn du das Herz dazu hast, zu Tevildos Behausung, solange noch die Sonne hoch steht und Tevildo und die meisten seiner Vasallen auf den Terrassen vor den Toren schlummern. Dann versuche, auf welche Weise auch immer, herauszufinden, ob Beren wirklich drinnen ist, wie deine Mutter dir gesagt hat. Ich nun werde
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