Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
Berens Brust und weinte und küsste ihn, und er erwachte und erkannte sie, und dann gab Mablung ihm den Silmaril, und er hielt ihn in die Höhe, betrachtete seine Schönheit, bevor er leise und unter Schmerzen sagte: ›Siehe, o König, ich gebe dir den wundersamen Edelstein, nach dem dich verlangte, und es ist bloß ein kleines Ding, am Wegesrand aufgelesen, denn du, so dünkt mich, besitzt ein Kleinod, das über die Maßen schöner ist, und dies ist nun mein.‹ Doch während er noch sprach, legten sich die Schatten Mandos’ auf sein Gesicht, und sein Geist fuhr in dieser Stunde zum Rande der Welt, und Tinúviels zarte Küsse riefen ihn nicht zurück.«
Damit hörte Veanne plötzlich zu sprechen auf, und Eriol sagte traurig: »Das war eine viel zu kummervolle Geschichte, um sie von einem so lieblichen Mädchen erzählen zu lassen«; doch seht, Veanne weinte, und erst nach einer Weile sagte sie: »Ach, es ist nicht die ganze Geschichte; doch nur bis hierher kenne ich sie richtig.« Und andere Kinder fielen ein, und eines sagte: »Hört, ich habe gehört, dass der Zauber von Tinúviels sanften Küssen Beren heilte und seinen Geist von den Toren Mandos’ zurückrief, dass er lange Zeit bei den Verschollenen Elben wohnte und in Liebe mit der schönen Tinúviel über die Lichtungen wandelte.« Doch ein zweites sagte: »Nein, so war es nicht, o Ausir, und wenn du mir zuhören willst, werde ich die wahre und wundersame Geschichte erzählen; Beren nämlich starb dort in Tinúviels Armen, genau wie Veanne es erzählt hat, und Tinúviel, vom Leid erdrückt, fand in der ganzen Weltweder Trost noch Licht und folgte ihm rasch über die dunklen Pfade hinab, die wir alle allein gehen müssen. Nun berührten ihre Schönheit und zarte Lieblichkeit selbst Mandos’ kaltes Herz, so dass er ihr erlaubte, Beren noch einmal in die Welt hinaufzuführen, und solches ist seitdem nie für einen Menschen oder einen Elb vollbracht worden; und es gibt viele Lieder und Geschichten vom Flehen Tinúviels vor Mandos’ Thron, an die ich mich nicht recht erinnern kann. Doch Mandos sprach zu den beiden: ›Hört denn, o Elben, kein Leben vollkommener Freude ist es, in das ich euch entlasse, denn solches gibt es in der ganzen Welt nicht mehr, wo Melkos böses Herz waltet – und so wisset denn, dass ihr sterblich sein werdet, genau wie die Menschen, und wenn ihr wieder hierher kommt, wird es für immer sein, es sei denn, die Götter riefen euch tatsächlich nach Valinor.‹ Gleichwohl gingen die zwei Hand in Hand davon, und sie zogen zusammen durch die Wälder des Nordens, und oft sah man sie hügelentlang Zaubertänze tanzen, und ihre Namen wurden weit und breit bekannt.«
Und damit verstummte der Junge, und Veanne sagte: »Ach, sie taten mehr als tanzen, denn ihre späteren Taten waren sehr groß, und viele Geschichten erzählt man sich darüber, die du hören musst, o Eriol Melinon, wenn wieder einmal die Zeit gekommen ist, Geschichten zu erzählen. Denn von den beiden gibt es die Geschichte, die i·Cuilwarthon heißt, was ›Die Toten, die wieder leben‹ bedeutet, und sie wurden mächtige Elben in den Landen nördlich des Sirion. Damit ist nun alles zu Ende erzählt – und hat es dir gefallen?« Eriol aber sagte: »Es ist wahrhaftig eine wundersame Geschichte, die ich von den Lippen der kleinen Mädchen von Mar Vanwa Tyaliéva nicht zu hören erwartet habe.« Veanne erwiderte jedoch: »Ach, ich habe sie nicht mit meinen eigenen Worten erzählt; aber ich mag sie sehr gern – und alle Kinder kennen die Taten, von denen sieberichtet –, und als ich sie in den großen Büchern las, habe ich sie auswendig gelernt, und ich verstehe nicht alles, was darin gesagt wird.«
»Und ich ebenso wenig«, sagte Eriol. Ausir aber rief plötzlich: »Höre, Eriol, Veanne hat dir nicht erzählt, was mit Huan weiter geschah. Er wollte von Tinwelint weder eine Belohnung annehmen noch bei ihm wohnen, sondern er wanderte fort und dachte voll Kummer an Beren und Tinúviel. Nach einer Weile stieß er auf Mablung 15 , der bei der Wolfsjagd dabei gewesen war und nun begonnen hatte, häufig in einsamen Gegenden zu jagen; und die beiden jagten gemeinsam als Freunde, bis zu den Tagen von Glorund, dem Drachen, und von Túrin Turambar, als Huan Beren wiederfand und seine Rolle spielte in der Geschichte vom Nauglafring, dem Halsband der Zwerge.«
»Nein, wie hätte ich all das erzählen können«, rief Veanne, »denn seht, es ist bereits Zeit zum Abendessen.« Und kurz
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