Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
dieser Gegend näherten und die Späher und Wächter der Rodothlim (denn so wurde dieses Volk genannt) ihr Nahen meldeten; darauf zog sich alles Volk, das sich im Freien befand, zurück. Dann schlossen sie ihre Türen und hofften, die Fremdlinge würden ihre Höhlen nicht entdecken, denn sie fürchteten jegliches unbekannte Volk, welcher Rasse auch immer, und trauten ihm nicht, so unheilvoll waren die Lehren dieser furchtbaren Zeit.
Darauf wagten sich nun Túrin und Flinding bis zu den Höhleneingängen vor, und als die Rodothlim erkannten, dass diese zwei die Pfade kannten, brachen sie hervor, nahmen sie gefangen und schleppten sie in ihre Felsenhallen, wo sie vor Orodreth, ihren Anführer, gebracht wurden. Nun hatten die freien Noldoli jener Tage große Furcht vor all jenen ihrer Sippe, die in Knechtschaft geschmachtet hatten, denn diese hatten, durch Furcht, Folter und bösen Zauber gezwungen, manch eine heimtückische Tat begangen; selbst auf diese Weise hatten sich die unheilvollen Taten der Gnomen bei Cópas Alqalunten gerächt 9 , und die Noldoli verfluchten den Tag, da sie zum ersten Mal der Tücke Melkos Gehör geschenkt hatten, und bereuten bitterlich, dass sie aus dem Segensreich Valinor fortgegangen waren.
Als Orodreth jedoch die Geschichte Flindings vernommen und sie für wahr befunden hatte, hieß er ihn mit Freuden wieder bei seinem Volk willkommen, doch war dieser Gnom durch die Qualen der Sklaverei so entstellt, dass wenige ihn wiedererkannten; doch um Flindings willen lauschte Orodreth Túrins Geschichte, und dieser berichtete von seinem Unglück und nannte Úrin als seinen Vater, einen Namen, den die Gnomen nie vergessen hatten. Da wurde Orodreth freundlich gestimmt, und er bat sie, bei den Rodothlim zu wohnen und ihm getreu zu sein. So nahm denn Túrin seinen Aufenthalt beim Volk der Höhlen, und er wohnte dort mit Flinding bo-Dhuilin und tat für dieses Volk manch gutes Werk, tötete viele streunende Orks und vollbrachte viele kühne Taten, um es zu verteidigen. Er wiederum lernte von ihnen viel Neues, denn die Erinnerung an Valinor brannte tief in ihren wilden Herzen, und ihr Wissen war größer noch als das jener Eldar, die niemals die gesegneten Antlitze der Götter erblickt hatten.
Unter diesem Volk war nun ein sehr schönes Mädchen, und sie wurde Failivrin genannt, und ihr Vater hieß Galweg; und dieser Gnom hatte Gefallen an Túrin und stand ihm oft zur Seite bei Abenteuern und guten Taten. Am Kaminfeuer erzählte Galweg oft davon, und Túrin war häufig bei ihm zu Gast, und Failivrins Herz schlug ihm entgegen, wenn sie ihn sah. Oft fragte sie sich angesichts seiner Düsterkeit und Schwermut, welches Leid er in seiner Brust verschlossen hielt, denn Túrin mangelte die Fröhlichkeit, weil er das Gewicht der Schuld am Tode Belegs auf sich lasten fühlte, und er litt es nicht, dass sein Herz gerührt werde, obgleich er Freude überihre Schönheit empfand; doch er hielt sich für einen Ausgestoßenen, beladen mit der schweren Bürde eines bösen Schicksals. Da wurde Failivrin von Kummer ergriffen, und sie weinte im Geheimen, und sie wurde so blass, dass die Leute sich über die Blässe und Zartheit ihres Gesichtes verwunderten und über die strahlenden Augen, die darin leuchteten.
Nun kam eine Zeit, in der die Ork-Banden und die bösen Wesen Melkos dem Unterschlupf dieses Volkes immer näher kamen und es trotz des guten Zaubers, der dem Fluss innewohnte, wahrscheinlich schien, dass ihr Versteck nicht länger unentdeckt bleiben würde. Gleichwohl sagt man, dass Túrins Aufenthalt in den Höhlen und seine Taten bei den Rodothlim den Augen Melkos bis dahin verborgen geblieben waren und dass er die Rodothlim nicht Túrins wegen heimsuchte, sondern dass es eher die ständig wachsende Zahl seiner Kreaturen war, ihre zunehmende Macht und Grausamkeit, die sie so weit hinaustrieb. Dennoch ließen die Verblendung und das Unglück, das er einst bestimmt hatte, Túrin nicht los, wie wir sehen werden.
Mit jedem Tag wurden die Stirnen der Anführer der Rodothlim bewölkter, und Träume suchten sie heim 10 , die ihnen geboten, sich aufzumachen und rasch und verstohlen fortzugehen und alles zu versuchen, um Turgon zu finden, bei dem es vielleicht noch Rettung für die Gnomen gab. Auch hörte man des Abends Geflüster im Fluss, und jene unter ihnen, die solche Stimmen zu deuten verstanden, enthüllten ihre Prophezeiungen auf den Ratsversammlungen des Volkes. Bei diesen Versammlungen nun hatte Túrin
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