Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
Drache, der nahe bei ihm war: ›Wunderst du dich nicht, o Túrin Mormakil, dass ich dir den Tod vorenthalten habe, du, der du einst als tapfer galtest?‹ Da erinnerte sich Túrin all seiner Leiden und des Unheils, das über ihn gekommen war, und er sagte: ›Spotte meiner nicht, ekliger Wurm, denn du hast gewusst, dass ich sterben wollte; und allein darum, deucht mich, hast du mich nicht getötet.‹
Jedoch der Drache erwiderte: ›So wisse denn dieses, o Túrin, Sohn von Úrin, dass ein unheilvolles Schicksal über dich verhängt ist, und wohin du auch gehen magst, werden deine Füße es nicht abschütteln können. Wisse fürwahr, dass ich dich nicht getötet hätte, denn dann wärest du sehr schlimmen Leiden entgangen und einem qualvollen Geschick!‹ Da sprang Túrin plötzlich auf die Füße, mied des Untieres verderblichen Blick, schwang sein Schwert hoch empor und rief: ›Nein, von dieser Stunde an soll niemand mehr, so lange ich lebe, mich Túrin nennen. Höre denn, dass ich mir einen neuen Namen geben will, und er soll Turambar sein!‹ Dies bedeutet nun Meister des Schicksals, und in der Gnomensprache lautet der Name Turumart. Als er diese Worte ausgesprochen hatte, machte er einen zweiten Ausfall gegen den Drachen, weil er tatsächlich glaubte, ihn zwingen zu können, ihn zu töten und sein Schicksal mit dem Tode zu besiegeln; aber der Drache lachte und sprach: ›Du Narr! Wenn ich wollte, hätte ich dich längst vernichten können, und ich könnte es auf der Stelle tun; und wenn ich es nicht will, kannst du nicht wach sein und gegen mich kämpfen, denn mein Auge kann dich aufs Neue bannen, so dass du zu Stein wirst. Nein, hebe dich weg, o Turambar, Meister des Schicksals! Zuerst muss dein Verhängnis dich treffen, wenn du es besiegen willst!‹ Turambar jedoch war erfüllt von Scham und Wut, und vielleicht hätte er sich selbst getötet, so rasend war er, obgleich er nicht hoffen durfte, dass sein Geist jemals aus dem dunklen Schattenreich Mandos’ befreit werden oder über die lieblichen Pfade von Valinor wandeln würde; 14 aber inmitten seines Elends gedachte er des bleichen Gesichts von Failivrin, und er senkte das Haupt, denn der Gedanke kam ihm in den Sinn, ihrer traurigen Spur durch alle Wälder zu folgen, sei es bis nach Angamandi und zu den Bergen aus Eisen. Vielleicht fand er bei diesem verzweifeltenWagestück einen schmerzlosen und raschen Tod oder auch einen bösen; vielleicht konnte er Failivrin retten und das Glück finden und so doch noch Wahrheit werden lassen, was in seinem neuen Namen beschlossen lag; und der Drache las seine Gedanken und ließ nicht zu, dass er so leicht dem Lauf des Bösen entkam.
›Höre mich, o Sohn Úrins‹, sagte er, ›immer warst du ein Feigling im Herzen, der sich fälschlich vor mir gebrüstet hat. Vielleicht hältst du es für eine mannhafte Tat, den Spuren eines Mädchens aus fremder Sippe zu folgen, ohne dich um deine eigene zu sorgen, die nun Schreckliches erleidet? Wisse, dass Mavwin, die dich liebt, seit langem voll Sehnsucht deine Rückkehr erwartet, wissend, dass du vor einer Weile zum Manne geworden bist, und vergeblich hat sie auf deine Hilfe gewartet, weil sie nicht weiß, dass ihr Sohn ein Gesetzloser ist, besudelt mit dem Blute seiner Gefährten, der den Tisch seines Herrn beschmutzt hat. Schlecht behandeln sie die Menschen, und die Orks, musst du wissen, suchen jetzt jene Gegenden von Hithlum heim, und sie lebt in Furcht und Gefahr und ebenso ihre Tochter Nienóri, deine Schwester.‹
Da entbrannte Túrin in Kummer und Scham, denn die Lügen des Drachen waren mit Wahrheit durchsetzt, und wegen des bannenden Blickes seiner Augen glaubte Túrin alles, was der Drache sagte. Deshalb flackerte sein altes Verlangen wieder in ihm auf, Mavwin, seine Mutter, wiederzusehen und das Gesicht Nienóris, das er seit seinen ersten Tagen nicht gesehen hatte; 15 und obgleich die Sorge um Failivrins Schicksal ihm das Herz zerriss, machte er sich auf den Weg zu den Bergen, um nach Dor Lómin zu wandern, und sein Schwert blieb in der Scheide. Und es heißt zu Recht: ›Um keinen Preis verrate deine Freunde – und glaube jenen nicht, die dir raten, es zu tun‹ – denn dadurch, dass er Failivrin aufgab, um deren gefährlicheLage er wusste, brachte er das grässlichste Unheil über sich und alle, die er liebte; und in der Tat war sein Herz verwirrt und schwankend, und aufs tiefste beschämt und zerrissen schied er von diesem Ort. Der Drache aber weidete sich am
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