Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
Níniel, an seiner Seite reiten zu dürfen; und er stimmte zu, denn er liebte sie, und er hegte den Gedanken, dass, wenn er fiel und der Drache lebte, niemand sich würde retten können und er dann Níniel lieber bei sich hätte, in der Hoffnung, sie vielleicht wenigstens vor den Krallen des Wurms bewahren zu können, sei es, dass er selbst oder einer seiner Leute ihr den Tod gab.
So ritten sie denn zusammen fort, Turambar und Níniel, wie dieses Volk sie kannte, und ihnen folgte eine Schar tapferer Männer. Die Entfernung nun bis zu dem Hügel inmitten der Wälder legten sie in einem Tagesritt zurück, und ihnen folgte heimlich, entgegen Turambars Gebot und Rat, eine große Volksmenge, darunter sogar Frauen und Kinder. Der lockendeZauber einer sonderbaren Furcht umfing sie, und manche dachten Zeuge eines großen Kampfes zu werden, andere gingen mit den übrigen, ohne viel nachzudenken, und nicht einer ahnte, was seine Augen am Ende wirklich sehen sollten; und sie folgten in geringem Abstand, denn Turambars Trupp bewegte sich langsam und vorsichtig. Zuerst, als Turambar sie neben sich reiten ließ, war Níniel vergnügt wie lange nicht mehr, und sie heiterte die trüben Gedanken der Männer auf; doch bald näherten sie sich dem Fuß des Hügels, und dort sank ihr das Herz und wahrlich, eine düstere Stimmung legte sich auf alle.
Dabei war dieser Ort voll Anmut, denn hier floss in einem tief eingegrabenen Bett derselbe Fluss, der weiter unterhalb sich um das Lager des Drachen wand; und er kam rauschend und kalt von den Bergen hinter der Siedlung der Waldleute und stürzte über einen großen Abgrund, wo der zerwaschene Fels glatt und grau aus dem Gras hervorstieß. Dies war nun das obere Ende jenes Wasserfalls, den die Waldleute die Silberschale nannten, und Turambar und Níniel waren daran vorbeigekommen, als sie nach der Rettung Níniels heimwärts zogen. Die Höhe des Falls war gewaltig, und die Stimme der Wasser war laut und wohltönend, wenn sie tief unten in einer silbernen Gischt zerspellten, wo sie eine mächtige Höhlung in das Gestein gewaschen hatten; und dieser Hohlraum war von Bäumen und Buschwerk überschattet, doch die Sonne schimmerte durch die Gischt; und am oberen Ende des Falls war ein offener Platz, mit grünem Rasen bewachsen, wo eine Fülle von Blumen spross, und die Menschen liebten diesen Fleck.
Hier weinte Níniel mit einem Mal, und sie umschlang Turambar und bat ihn, nicht das Schicksal herauszufordern, sondern mit ihr und all seinem Volk zu fliehen und sie in entfernte Länder zu führen. Er aber blickte sie an und sagte: ›Nein, dumeine Níniel, nicht du, nicht ich werden heute sterben, und auch nicht morgen, weder durch die Bosheit des Drachen noch durch die Schwerter der Feinde‹, aber er wusste nicht, dass seine Worte in Erfüllung gehen würden; und als Níniel sie hörte, stillte sie ihre Tränen und fiel in Schweigen. Als sie nun hier eine Weile gerastet hatten, erklommen die Krieger den Hügel, und Níniel kam mit ihnen. Von der Spitze aus konnten sie weit in der Ferne eine ausgedehnte Fläche erkennen, wo alle Bäume geknickt, das Erdreich aufgerissen, versengt und schwarz war, doch dicht am Rande der Bäume, die noch unversehrt waren, nicht weit vom Rand des abgrundtiefen Flussbettes entfernt, stieg ein dünner, pechschwarzer Rauch auf, und die Männer sagten: ›Dort liegt der Wurm.‹
Da machten auf der Spitze des Hügels vielerlei Vorschläge die Runde, und die Männer hatten Angst, offen auf den Drachen loszugehen, sei es bei Tag oder bei Nacht, sei es, dass er schlief oder wachte, und als er ihre Furcht sah, legte ihnen Turambar einen Plan vor, dem sie zustimmten. Und dies waren seine Worte: ›Richtig ist, was ihr sagt, o Jäger der Wälder, dass Menschen weder tags noch bei Nacht hoffen können, einen Drachen Melkos zu überrumpeln, zumal dieser hier sich mit einem Ödland umgeben hat und die Erde plattgetrampelt ist, so dass niemand unbemerkt zu ihm herankriechen kann. Wer immer das Herz hat, soll darum mit mir kommen, und wir werden über die Felsen zum Grund des Wasserfalls hinunterklettern, und wenn wir so den Flusslauf erreicht haben und ihm folgen, können wir vielleicht nahe genug an den Drachen herankommen. Dann müssen wir, wenn wir dazu imstande sind, am jenseitigen Ufer hinaufklettern und warten, weil, wie ich glaube, der Drache nicht mehr lange ruhen wird, bevor er auf unsere Wohnstätten losgeht. In diesem Falle muss er entweder das tiefe Flussbett
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