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Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Titel: Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R.R. Tolkien
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sandige Spitzen ausliefen; und diese waren die Lieblingsplätze einer solchen Vielzahl von Vögeln, wie sie Tuor noch nirgendwo begegnet war. Ihr Pfeifen und Flöten und Schreien erfüllte die Luft; und hier, in einem Meer weißer Flügel, verlor Tuor die drei Schwäne aus den Augen, und nie sah er sie wieder.
    Da ward Tuor eine Zeitlang der See müde, denn die Anstrengungen seiner Reise waren groß gewesen. Auch geschah dies nicht ohne Zutun Ulmos, und in dieser Nacht kamen die Noldoli zu ihm, und Tuor erhob sich aus seinem Schlaf. Von ihren blauleuchtenden Lampen geleitet, fand er einen Weg neben dem Ufer des Flusses, und landeinwärts schritt er so mächtig aus, dass, als die Morgendämmerung zu seiner Rechten denHimmel erfüllte, seht, das Meer und seine Stimme weit hinter ihm lagen und der Wind von vorn blies, so dass nicht einmal der Geruch des Meeres in der Luft zu schmecken war. So gelangte er rasch in den Landstrich, der Arlisgion genannt worden ist oder Ort des Rieds, und dieser liegt in den Landen, die sich südlich von Dor Lómin erstrecken und getrennt sind durch die Eisenberge, deren Ausläufer bis ans Meer reichten. Aus diesen Bergen kam der Fluss, und seine Wasser waren selbst an diesem Ort tiefklar und wundersam kühl. Nun ist dieser Fluss höchst berühmt in der Geschichte der Eldar und Noldoli, und er wird in allen Zungen Sirion genannt. Tuor rastete eine Weile, bis er sich, von Sehnsucht getrieben, wieder erhob, um weiterzuwandern, viele Tagesmärsche lang, dem Ufer des Flusses folgend. Als er in eine noch lieblichere Gegend gelangte, war der Frühling vorüber, doch der Sommer zeigte sich noch nicht. Hier umschwirrte ihn der Gesang kleiner Vögel wie eine anmutige Musik, denn es gibt keine Vögel, die schöner singen als die Singvögel im Lande der Weidenbäume; und dieses wundersame Land hatte er nun betreten. Der Fluss wand sich hier in weiten Biegungen und zwischen flachen Ufern durch eine ausgedehnte Ebene, auf der das duftigste Gras wuchs, sehr hoch und grün; unsagbar alte Weidenbäume säumten die Ufer des Flusses, und sein breiter Spiegel war überzogen mit den Blättern der Wasserrosen, deren Blüten so früh im Jahr noch nicht geöffnet waren, doch unter den Weiden hatten Lilien ihre grünen Schwerter gezückt, und Seggen standen dort und Riedgräser, wie zum Kampf gerüstet. In diesem dunklen Verhau hauste ein Hauch von Geflüster, und in der Dämmerung sprach Wispern zu Tuor, und es widerstrebte ihm aufzubrechen; und am Morgen, angesichts der Pracht ungezählter Butterblumen, war seine Lust noch geringer, und er zauderte.
    Hier erblickte er die ersten Schmetterlinge und erfreute sich an ihrem Anblick; und es heißt, alle Schmetterlinge und ihre Verwandten stammten aus dem Tal des Landes der Weidenbäume. Dann kam der Sommer und die Zeit der warmen Abende und Nachtfalter, und Tuor staunte über die Vielzahl von Fliegen, ihr Gesurr, das Brummen der Käfer und das Bienengesumm; und allen diesen Dingen gab er Namen seiner eigenen Erfindung und fügte sie ein in neue Lieder für seine alte Harfe; und diese Lieder klangen weicher als die von einst.
    Da begann Ulmo zu besorgen, Tuor könne sich für immer hier niederlassen und der große Plan, den er, Ulmo, ersonnen, nicht zur Erfüllung gelangen. Darum mochte er Tuors Geleit nicht mehr den Noldoli allein überlassen, die ihm im Verborgenen dienten und die aus Furcht vor Melko oft schwankend waren. Auch waren sie nicht gefeit vor der magischen Kraft des Landes der Weidenbäume, denn sein Zauber war sehr mächtig. Kamen nicht noch nach den Tagen Tuors Noldorin und seine Eldar auf dem Wege nach Dor Lómin hierher, suchten nach dem verborgenen Fluss und den Höhlen der gefangenen Gnomen, und waren sie nicht, so nahe am Ende ihrer Suche, geneigt gewesen, sie aufzugeben? Als sie tatsächlich hier schlummerten und tanzten, liebliche Musik ersannen aus Flussgetön und Grasgemurmel und prächtige Stoffe webten aus Altweibersommerfäden und Vogelfedern, wurden sie von den Kobolden überfallen, die Melko eilends aus den Eisenbergen sandte, und Noldorin entkam von dort nur um ein Haar.
    Hört nun, wie Ulmo vor dem Eingang zu seinem Palast, tief in den stillen Wassern des Äußeren Meeres, in seinen Wagen sprang; und dieser wurde von Narwal und Seelöwe gezogen und war geformt wie ein Walfisch; und er verließ Ulmonan, begleitet vom Klang großer Muschelhörner. Er eilte so geschwind dahin, dass er binnen Tagen – und nicht nach unzähligen Jahren, wie

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