Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
Die Namensliste zur Geschichte Der Fall von Gondolin hat folgenden Eintrag: » Earendel war der Sohn Tuors und Idrils, und es heißt, er sei das einzige Geschöpf, halb aus der Rasse der Eldalie und halb aus der Menschenrasse. Unter den Menschen war er der Erste und Größte aller Seefahrer und sah Gefilde, welche die Menschen, ungeachtet der Vielzahl ihrer Schiffe, noch nicht gefunden oder erblickt haben. Er reitet nun mit Voronwe auf den Winden des Firmaments und kehrt nie weiter als bis nach Kôr zurück, sonst würde er wie andere Menschen sterben, so viel Sterbliches ist in ihm.« – In dem Abriss in Verbindung mit dem Gedicht »Die Bitte an denSänger« heißt es: »Er fährt in den Himmel und kehrt nicht mehr auf die Erde zurück« (S. 393); im Prosa-Vorwort zum Gedicht »Feenküste« (S. 394) kommt er nach Eglamar »immer bei Vollmond, wenn der Mond eilig hinter Taniquetil und Valinor dahinsegelt«; in C heißt es: »Wenn er nun zurückkehrt, muss er sterben« (S. 385); und oben in Punkt 19 kehrt er mit Voronwe immer wieder aufs Neue vom Firmament nach Kôr zurück.
Im Silmarillion (S. 275) sollen nach Manwes Spruch Earendel und Elwing »nie wieder unter die Elben oder Menschen in den Außenlanden gehen«; doch es heißt auch, dass Earendel »von [seinen] Fahrten jenseits der Welt nach Valinor heimkam« (S. 276), so wie es auch in der Namensliste zum Fall von Gondolin heißt, dass er in diesem Falle wie andere Menschen sterben würde, da »so viel Sterbliches in ihm« sei. Noch viel später klingt dies in einem Brief meines Vaters an, den er 1967 schrieb: »Earendel aber, der zu einem Teil ein Mensch war, durfte nie wieder die Welt betreten, und er wurde ein Stern, der in dem Licht des Silmaril erstrahlte« (Carpenter, The Letters of J. R. R. Tolkien, Nr. 297).
Damit sind wir am Ende des gesamten »Prosa-Materials«, das sich auf die früheste Form der Geschichte von Earendel bezieht (im folgenden Kapitel folgen noch ein paar zusätzliche Hinweise). Mit diesen Abrissen und Notizen befinden wir uns in einem sehr frühen Stadium der Ausarbeitung, als die Konzeption noch fließend war und noch nicht einmal eine vorläufige erzählerische Realisierung erfahren hatte: Der Mythos war in bestimmten Bildern vorhanden, die Dauer haben sollten, doch diese Bilder wurden nicht ausgeformt.
Ich habe bereits auf die bedeutungsvolle Tatsache hingewiesen, dass sich nicht die kleinste Andeutung finden lässt, dass Earendel es war, der durch sein Eingreifen Hilfe aus dem Westen brachte; ebenso deutet nichts darauf hin, dass die Valar sein Schiff segneten und ihn in den Himmel setzten oder dass sein Leuchten von dem Silmaril herrührte. Gleichwohl gab es bereits die Ankunft Earendels in Kôr (Tirion), den Diamantenstaub an seinen Schuhen, die Verwandlung Elwings in einen Seevogel, die Fahrt seines Schiffes durch das Tor der Nacht und das Verbot seiner Rückkehr in die Lande östlich des Meeres. Auch der Überfall auf die Häfen des Sirion erscheint, obgleich Melkos Orks und nicht die Feanorer ihn verüben; ebensofinden wir die Abreise Tuors, doch ohne Idril, die er zurückließ. Sein Schiff war Alqaráme, Schwanenschwinge; später trug es den Namen Earráme mit der Bedeutung »Meeresschwinge« (Das Silmarillion, S. 271), der in dieser Form, doch mit anderer Bedeutung, als Name für das erste Schiff Earendels erhalten blieb: Earáme »Adlerschwinge« (S. 273f.; und Anmerkung 9).
Es ist interessant zu lesen, was mein Vater etwa ein halbes Jahrhundert später in dem bereits zitierten Brief von 1967 über die Ursprünge von Earendel schrieb:
Der wichtigste Name in diesem Zusammenhang ist Earendil. Es ist klar, dieser Name ist tatsächlich von altenglisch éarendel abgeleitet. Bei meiner ersten akademischen Bekanntschaft mit dem Altenglischen (1913 –) – es war ein Hobby, das ich schon als Knabe gehabt hatte, als ich eigentlich Griechisch und Latein lernen sollte – war mir die große Schönheit dieses Wortes (oder Namens) aufgefallen, der dem normalen Stil des Altenglischen völlig gemäß ist, aber in dieser angenehm, doch nicht geradezu wie ein »Ohrenschmaus« klingenden Sprache ein besonderes Maß an Wohllaut besitzt. Auch spricht seine Form deutlich dafür, dass es dem Ursprung nach ein Eigenname und kein gewöhnliches Substantiv ist. Dies bestätigen die offenbar verwandten Formen in anderen germanischen Sprachen; aus ihnen scheint bei allen Verworrenheiten und Entstellungen der späteren Überlieferungen zumindest
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