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Das Buch der Zeit Band 2: Die Sieben Münzen

Das Buch der Zeit Band 2: Die Sieben Münzen

Titel: Das Buch der Zeit Band 2: Die Sieben Münzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Prevost
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Diener wies sie an, auf einer hölzernen Bank vor einem weißen Vorhang Platz zu nehmen, wie in einem Puppentheater.
    »Sie wird kommen«, wisperte Metaxos auf einmal ganz aufgeregt. »Sie wird kommen!«
    »Und du weißt, was du zu tun hast?«, fragte Sam.
    »Natürlich! Ich habe vor dem Orakel noch nie Angst gehabt!«
    Samuel hätte seine Begeisterung gerne geteilt. Obwohl er wusste, dass er unschuldig war, fürchtete er, die Pythia würde plötzlich anfangen zu erzählen, dass der wahre Räuber sein Vater sei. Und in diesem Falle wäre das sicherste Mittel, den Schuldigen zu fangen, seinen Sohn gefangen zu nehmen . . .
    Hinter dem Vorhang hörte man ein leises Rascheln, und der Diener nickte sanft: »Apollon ist bereit, euch anzuhören, ihr jungen Männer.«
    »Ist das wahr?«, platzte der Hirte heraus. »Das Orakel ist da? Da dahinter?«
    »Metax. . .?«, zischte eine gedämpfte Stimme von der anderen Seite.
    Der Vorhang öffnete sich einen Spaltbreit, und Sam erkannte eine ältliche Frau in einem grauen Kleid, die sie erstaunt ansah. Sie hatte sich von einer Art Metallsessel erhoben, und direkt vor ihren Füßen durchschnitt ein breiter Riss den Boden, wie die Narbe eines früheren Erdbebens. Der Teil des Heiligtums, in dem sie sich befand, wurde von Fackeln beleuchtet. In einer Ecke erkannte man einen Baum, einen Stein in Form einer Ellipse – das Original des Nabels der Welt? – und ein paar andere Gegenstände, die zum großen Teil von den Schatten verschluckt wurden. Als sie den Archon und den Priester bemerkte, die nur wenige Schritte entfernt warteten, schloss sie hastig den Vorhang. Es war offenbar nicht üblich, dass das Orakel sich seinen Besuchern zeigte. Der Diener tat allerdings, als wäre nichts gewesen, und huschte auf Zehenspitzen davon.
    Metaxos erhob sich.
    »Orakel! Orakel von Delphi! Atem des Apollon! Hat Metaxos den goldenen Stein der Athener gestohlen?«
    Er setzte sich wieder und zwinkerte dabei Sam verschwörerisch zu.
    Zuerst passierte nichts. Den gedämpften Lauten hinter dem Vorhang nach zu urteilen, schien die Pythia auf irgendetwas herumzukauen. Dann ertönte ein lautes Schluckgeräusch, und es hörte sich an, als habe sie soeben auf den Boden gespuckt – offenbar eine verbreitete Sitte in diesem Land! Nach einem kurzen Moment absoluter Stille erhob sich schließlich eine heisere Stimme, von der man sich nur schwer vorstellen konnte, dass sie aus dem Mund einer Frau kommen sollte:
    »Apollon, der von den Göttern am meisten geliebte Gott, hat deine Stimme vernommen, Metaxos. Hier nun seine Antwort: Stiehlt das Lamm auf dem Berg das Gras, das es frisst? Raubt der Vogel dem Fisch das Wasser, das ihn erfrischt? Metaxos hat nie etwas anderes gestohlen als die Luft, die er atmet, und die Milch, die aus den Zitzen seiner Ziegen tropft! Apollon macht sie ihm gerne zum Geschenk.«
    Das Orakel verstummte. Eine Sekunde, zehn Sekunden verstrichen . . . Samuel war nicht ganz sicher, ob er den Sinn der verschlüsselten Worte erfasst hatte, doch im Großen und Ganzen klang es durchaus positiv. Der Priester war der Erste, der einen Freudenschrei ausstieß:
    »Umso besser«, rief er aus, »damit wäre der Beweis erbracht, dass . . .«
    Doch die Pythia hinter dem Vorhang schnitt ihm das Wort ab:
    »Der Atem des Apollon ist noch nicht erschöpft! Es gibt da noch etwas anderes, das die Menschen wissen sollten!«
    Samuel sackte auf seiner Bank zusammen und machte sich ganz klein: Sicher würde man jetzt seinen Vater anschuldigen! »Apollon, Sohn des Zeus, hat in seinem Feuerkarren viele Male den Himmel durchfahren«, fuhr die heisere Stimme fort. »Er folgt dem Lauf der Sonne und gibt dem Tag seinen Rhythmus. Er kennt den Wert der Zeit und der Stunden, die verstreichen . . . Männer von Delphi, lasst den Freund des Hirten gehen. Lasst ihn jetzt sofort gehen. Er möge durch die Pforte der Tage, die ihn hierhergebracht hat, zurückkehren. Doch er muss sich beeilen: Einer der Seinen versucht, sie zu verschließen ... So hat Apollon gesprochen.«
    Samuel blieb keine Zeit, lange über die Warnung nachzudenken, denn einer der Athener, der ihn besonders misstrauisch beäugt hatte, stürzte in drei Schritten auf ihn zu.
    »Wer du auch sein magst, Samos von Samos, es scheint, als hätten die Götter zu deinen Gunsten entschieden. Doch freu dich nicht zu früh: Eines schönen Tages werden wir den Fremdling erwischen. Und glaub mir, von da an wird er nie wieder irgendjemandem etwas stehlen.«
    Metaxos und Argos

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