Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
den Weg Richtung Wolfsbrunnen, dann den Jettenbühl hoch. Besser ging’s ja nicht, da war die alte Sage um die heidnische Seherin Jetta, die eben dort an einem kalten Wintertag von Wölfen zerfleischt worden war. Der irr Gewordene opfert dem Beelzebub den Ring samt Finger. Hinfort, verdorbenes Eheweib! Ende unserer Zusammengehörigkeit! Und stürzt sich den Abhang hinab. So stand’s auch in dem Abschiedsbrief, den man bei ihm finden sollte. Der lag noch immer bei der stinkenden Decke dort oben am blutbesudelten Platz. Kurz überlegte er, ob die Entfernung zu der Geschichte passte. Ja. Der Knecht wäre nicht der Erste, der irgendwo hinter dem Schloss verloren ging, den Berg hinabstürzte. Suchte und fände man ihn – der zauberglaubeumwitterte Ruf des Berges zusammen mit dem Brief erklärte alles hinlänglich, auch wenn der Brief weit entfernt vom Fundort des Leichnams lag. Teufelswerk eben. War Roths Einfall gewesen. Doch nicht so blöd, sein Vetter. Widerstrebend hatte er ihm recht geben müssen. Sie konnten nicht alles einfach laufen lassen und sich verpissen. Das Mädchen würde das Buch zurückbringen, sie und der Knecht würden ihre Geschichte preisgeben. Man würde das Buch genauestens betrachten. Fände die radierte Stelle. Ganz schlecht, nicht nur für sie. Der gesamte Ritterkreis würde darunter leiden. Man würde ihre Sprecher in die Kanzlei berufen. Nachforschen, anklagen. Die gegenwärtige trügerische Ruhe wäre dahin. Und Missgunst unter der Ritterschaft vorauszusehen. Wer war so dumm, sich bei einem solch wahnwitzigen Vorhaben ertappen zu lassen?! Und so hatten sie den heutigen Tag mit der Vorbereitung ihres Vorhabens zugebracht. Roth versorgt, der noch immer verletzt und inzwischen mit leichtem Fieber im Schlupfwinkel lag. Dem Idiot war schon wieder das Schwert
abhandengekommen
, weshalb er ihm ein neues besorgt hatte, zusammen mit einem Dietrich. Dann hatten sie noch einmal Betäubungstinktur für den Wächter im Seltenleer erworben und den Brief verfasst. Eitelfritz hatte den Vater des Mädchens im Auge behalten, war ihm auf dem Markt hinterhergeschlichen und auch ansonsten wachsam geblieben. Kanzlei, Wohnung, die Tore. War nicht aufgetaucht, das junge Weib. Scheiß drauf, früher oder später musste sie kommen. Er würde sich morgen vorwiegend beim Jakober Tor aufhalten. Sollte sie kommen – nun, sie würde ihn wiedererkennen und ihm zum Schlupfwinkel folgen. Käme sie durchs andere Tor …
„Was ist jetzt?“, wollte Eitelfritz wissen.
Massenfels merkte, dass er zwar noch immer in den Abgrund starrte, vorm Blick verschwamm ihm jedoch alles zu einem schneegrauen Einerlei. Er war müde. Kein Wunder, waren sie doch spät in der Nacht zum Schloss hinauf. Nun hatten sie das Pfand. Und der Knecht?
„Sieh nach!“, befahl er Eitelfritz.
Er mochte den Kerl nicht sonderlich. Wie die meisten, die Roth anschleppte. Zu hinterfotzig. Zu spitzfindig. Der war ja schon ganz sabbelig drauf, das Mädchen aus dem Weg zu räumen. Den Quacksalber – sie gingen davon aus, dass der noch bei dem Mädchen war – wollte Roth übernehmen. Der hatte ein Hühnchen mit dem zu rupfen. Sollte nach Streit zwischen dem entflohenen Weib und ihrem Liebhaber aussehen. Man findet sie in den Büschen, irgendwo draußen vor der Stadt. Nun, das würde er den beiden überlassen.
Er raunte: „Keine Wunde! Würgemale kann man dem Ringen mit dem Teufel zuschreiben – so man sie gewahrt.“
Eitelfritz machte sich an den Abstieg. Er drohte abzurutschen, stieß leise einen Fluch aus. Hielt sich an einem Zweiglein fest, das unverzüglich mit schwachem Knacken brach. Eitelfritz ruderte mit den Armen, verlor das Gleichgewicht, knickte um und schlitterte ein Stück hinab. „Scheiße!“, fluchte er. „Drecksgestein hier.“ Er kam wankend auf die Beine und deutete vor sich den Abhang hinunter. „Hier komme ich nachher nicht mehr rauf, muss unten herum. Wir müssen uns trennen.“
„Siehst du ihn?“, rief er hinunter.
Schnee wisperte und Gehölz knackte. Hoch über ihren Köpfen sirrte ein leiser Wind.
„Möglich. Da.“ Eitelfritz deutete mit dem Arm.
„Und?“
Nach kurzer Weile: „Weiß nicht.“
„Kommst du ran?“
Wieder dauerte es, ehe die Antwort kam: „Wird schwer.“
„Mach!“, rief er hinunter. Sie mussten sicher sein.
Er war nicht allein. Er hörte Stimmen.
Er öffnete die Augen. Blut.
Gehölz und Schnee. Er versuchte den Kopf zu drehen.
Schmerzen.
Wie ihn der Leib schmerzte! Die Hand! Sofort
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