Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Schmerz, weiß und zuckend wie ein Blitz.
Er regte sich vorsichtig. Körperqualen! Da er sie fühlte, konnte er nicht tot sein. Im Himmelreich fühlte man keine Schmerzen, sagten sie.
Tapsen im Schnee. Er wusste plötzlich, es war der Grund, warum er zu sich gekommen war. Er presste die Lippen aufeinander. Versuchte die Augen zu öffnen. Etwas in seiner Nähe atmete. Er riss die Augen auf – lange Schnauze, zugespitzte, nach vorn, auf ihn gerichtete Ohren, zwei schräg stehende Augen, die ihn lauernd betrachteten. Er zuckte. Der Fuchs erschrak, machte kehrt und tat zwei Sprünge davon.
Er bemerkte das Blut. Seine Hand! Er zog den Arm unter sich hervor, es war, als gehörte der nicht zu ihm. Steif wie ein Knüppel. Fühllos. Kalt. Halb richtete er sich auf, ungelenk, behindert vom Mantel, dessen unterer Teil um seine Hand geschlungen war. Schmerz. Übelkeit wallte mit solcher Macht in ihm empor, dass er es gerade noch schaffte, sich vorzubeugen, ehe der Schwall hervorbrach.
Philipp kotzte sich die Seele aus dem Leib.
Der Fuchs sah ihm zu.
Er schaffte es, vorwärts zu kriechen. Sein Hass auf die Sauhunde half ihm dabei. Und der Fuchs. Indem er mutig näher kam. Lauerte, atmete, roch. Das hinderte ihn, in neuerliche Bewusstlosigkeit zu fallen. Es half ihm, den Funken Lebenswillen zu spüren, der tief in ihm noch glühte. Als glühe er durch ihn hindurch, erhellte er die Finsternis dieser Nacht. Er wusste nicht wie, doch er hatte es sogar geschafft, sich ein Stück Tuch aus dem Hemd zu reißen und die verletzte Hand zu umwickeln.
Er hatte Blut verloren. Viel Blut. Seine Glieder waren taub, gehen konnte er nicht, also kroch er. Der Fuchs folgte ihm in gebührendem Abstand. Noch hast du mich nicht, dachte er, noch nicht! Weiter. Vielleicht fand ihn wer. Irgendwann, wenn der Morgen dämmerte. Noch war es Nacht. Der Mond, bald voll, huschte hinter Wolkenbänke und tauchte wieder auf. Die Kälte um ihn war nichts gegen die Kälte in seinem Herzen. Dass man eine solche Kälte in sich haben konnte. Eisesstarr und mitleidlos, wenn er an seine Peiniger dachte. Wenn er daran dachte, was sie ihm angetan hatten. Was sie Hedwig angetan hatten! Hedwigs Namen zu denken, war wie ein Schwerthieb vom Kopf bis zu den Füßen. Mitten durch durch alles, was ihn ausmachte. Kaltes Herz. Ich werde dich rächen!, dachte Philipp. Ich schwöre es dir, ich räche dich! Sie werden büßen für das, was sie uns antaten! Sein Herz blieb kalt bei diesem Gedanken, doch es musste auch nicht warm sein für diesen Schwur, es genügte, dessen Macht zu spüren. Sie gab ihm die Kraft zum Weiterkriechen.
Dreiundvierzig
Auf dem Fuhrwerk, mit dem sie vom Bierhelder Hof nach Rohrbach hinunterzockelten, hatte es gut nach Brot und Stroh gerochen. Beides war für Rohrbachs Herberge „Zum roten Ochsen“ gedacht, das Stroh für die Matratzen. Hedwig und Ryss hatten Bauer Eisengreyn beim Abladen geholfen. Dafür brachte er sie noch bis zum nördlichen Ortsrand. Hier stank es nach ranzigen Fetten aus dem Anwesen eines Seifensieders. Der Bauer trat neben sie und wartete, bis sie ihre Siebensachen vom Karren geholt hatten. Trotz der Arbeit, die er heute Morgen zu tun hatte, trug er seinen Sonntagsrock, eine hasenfarbene wollene Schaube und grüne Pluderhosen, durch deren Schlitze gelb das Unterfutter schillerte.
Sie waren zeitig aufgebrochen, um mit ihm fahren zu können. Ab jetzt würden sie zu Fuß weitergehen. In einer Stunde, so um die Mittagszeit, schätzte Eisengreyn, müssten sie Heidelberg erreichen. Er schnäuzte sich mit der Hand, hielt abwechselnd ein Nasenloch zu, um aus dem anderen in den Schnee zu rotzen, dann wünschte er ihnen einen guten Sonntag und wendete sein Fuhrwerk.
Hedwig und Ryss umgriffen ihre Wanderstäbe, die sie im Bierhelder Hof erstanden hatten, und stiefelten los.
„Mein Genick tut mir weh“, sagte Ryss nach einer Weile.
„Das wundert mich nicht“, lachte Hedwig. Sie war erschrocken heute Morgen, als sie erwacht war und festgestellt hatte, dass sie zusammen in einem Bett lagen. Sie waren einfach eingeschlafen. Und schlugen wegen Julis Gemecker gleichzeitig die Augen auf. Auch Ryss war verlegen, das hatte sie an der Art gemerkt, wie er um sich sah, sich entschuldigte und eilig in seine eigene Kammer aufbrach. Während sie Juli stillte, dachte sie daran, was Ryss ihr erzählt hatte. Seine Offenheit verwunderte sie noch immer – und freute sie zugleich. Wie sich die Dinge doch ändern konnten. Aber eine so traurige
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