Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Hofgerichtsrat mit zwei Fingern zwischen Hals und Krause entlang, als sei ihm zu heiß. Dabei starrte er auf das Papier, das der Sekretär mit dem ohrlang-rundgeschnittenen, auffällig karottenroten Haar ihm zuschob.
Philipp schluckte schwer. Auf diese Weise hier vor jenen Männern stehen zu müssen, denen er Türen öffnete, Tinte, Papier und Brennholz brachte, beschämte ihn zutiefst. Er fühlte sich nackt ohne sein Kurzschwert, das Teil seiner Amtstracht war und das man ihm gestern abgenommen hatte. Zu seiner seelischen Pein kam das körperliche Befinden. Niemals war ihm der eigene Körper so fremd, schwer und kraftlos erschienen. Glieder, Nacken, Kopf – nichts gab es, das ihm nicht wehtat, da er die Nacht im Seltenleer hatte zubringen müssen, hingekauert auf fauligem Stroh, eingewickelt in eine zerschlissene Wolldecke, mit klappernden Zähnen der Kälte ausgesetzt, die in den ellendicken Steinmauern des Gefängnisturmes festsaß wie eine Zecke im Hundsfell. In seinem Rachen hing ein Kratzen, mit seiner geschwollenen Wange fühlte er sich entstellt, seine Kleidung stank. Wie hatte er nur in eine solche Lage geraten können? Im Gefängnisturm des Schlosses festgesetzt wie ein Spitzbube! Er, der zielstrebig seinem Weg gefolgt und ein ehrbarer Mann war. Wut, Hilflosigkeit und Verzweiflung tobten in ihm, machten ihn dumm im Kopf und wirr.
„Ihr seid Philipp Eichhorn, gebürtig aus Schwetzingen, Sohn des verstorbenen Advocatus Abraham Eichhorn und dessen Eheweib Susanne, jetzige Hausfrau Zahn zu Hockenheim?“, sprach Hofgerichtsrat Weber ihn an, ohne aufzusehen.
Philipp bejahte.
„Ihr steht seit nunmehr eineinhalb Jahren in kurfürstlichem Dienst, seid unterer Kanzleiknecht in seiner Gnaden Kanzlei?“ Hofgerichtsrat Weber hob den Blick. Er hatte wie Mandeln geformte Augen, und er schob seine breite Unterlippe vor, während er auf Philipps Antwort wartete.
Dieser bejahte wiederum.
Die Schreibfedern des Sekretärs und dessen Adjunctus kratzten auf dem Papier.
„Wir haben Euch zu dem Umstand zu befragen, dass Euer Eheweib, Hedwig Eichhorn, gebürtig aus Reilingen und Magd im ehrbaren Haus Belier, nicht aufzufinden ist.“
Dies war ein Schmerz, mit dem er seit zwei Tagen und drei Nächten zu leben gezwungen war. So abgründig, dass er zuweilen meinte, toll an ihm zu werden. Er riss ihn in einen Schlund aus Dunkelheit, aus dem es kein Entrinnen gab. Was war mit Hedwig geschehen? Lebten sie und Juli noch? Trug er Schuld an ihrem Schicksal? Hätte er etwas anders machen sollen?
„So macht den Mund auf, Eichhorn, und steht nicht da wie ein Ölgötze! Habt Ihr Kenntnis davon, wo Euer Weib sich befindet?“
„Nein“, sagte er tonlos und schüttelte den Kopf.
„Der ehrsame Herr Belier, Tuchhändler zu Heidelberg und Brotherr des vermissten Weibes, bekundete, dass Ihr vor zwei Tagen sagtet, Eure Hausfrau sei nach Reilingen zu ihrer kranken Mutter gereist. Doch ihre Mutter ist putzmunter, gar hier in Heidelberg vor Ort, wie sich herausstellte, als Bauer Großhans aus Reilingen, Vater der Hedwig, bei Herrn Belier vorsprach. Weshalb habt Ihr Derartiges erzählt?“
Scham breitete sich in ihm aus. Der Lüge überführt! Einer Lüge, die er zu verbreiten gezwungen gewesen war. Und nun? Was sollte er dem Hofgerichtsrat antworten?
„Und habt Ihr nicht auch ein kleines Kind? Wo ist es? Macht endlich das Maul auf!“
„Sie sind verschwunden“, entgegnete er schließlich.
„Was soll das heißen?“
Philipp senkte den Blick. Seine Stiefelspitzen hatten weiße Wasserränder.
„Niemand verschwindet einfach so! Euer Betragen, Eichhorn, ist augenfällig befremdlich. Man kennt Euch als zuverlässigen und braven Knecht im Dienste seiner kurfürstlichen Gnaden, wie Botenmeister Biber hier bestätigte.“ Hofgerichtsrat Weber deutete auf den Botenmeister. „Ihr seid mit nichts bisher auffällig gewesen. Und nun so etwas! Besinnt Euch, sagt, was geschah.“
Enge in der Brust. Er vermochte nicht zu reden. Trocken der Mund.
„Seid Ihr mit Eurem Eheweib in Streit geraten? Habt Ihr ihr etwas angetan?“
„Nein“, sagte Philipp.
„Ihr seid recht wortkarg, Eichhorn. Man scheint Euch auf die Sprünge helfen zu müssen.“
Philipps Kopf ruckte in die Höhe.
„So Ihr nicht redet, wird Euch die peinliche Befragung zuteilwerden. Euer Weib ist seit …“, der Hofgerichtsrat hob ein, zwei Blatt Papier an, blickte suchend darauf, „seit dem Morgen nach Martini vermisst“, fuhr er fort. „An jenem Morgen habt Ihr im
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