Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Hause Belier ihre Abreise vermeldet. Das war vor zwei Tagen. Als gestern ihre Eltern unvermittelt in Heidelberg auftauchten, flog Eure Lüge auf. Ich frage Euch also noch einmal: Habt Ihr Eurem Weib ein Leid angetan?“
„Nein!“ Grundgütiger Himmel, die peinliche Befragung! Was sollte er sagen? Bekennen, dass man Hedwig entführt hatte? Würde man das hinnehmen, ohne wissen zu wollen weshalb? Alles stand auf dem Spiel, alles! Was er sich aufgebaut hatte, würde den Bach runtergehen. Ihm war so eng in der Brust. Angst schnürte ihm die Kehle zu.
„Philipp Eichhorn, wir hatten die Hoffnung, Ihr würdet Euch über Nacht besinnen und heutigen Tags zugänglich sein. Aber Ihr zeigt Euch nicht sonderlich mitteilsam.“
Philipp wurde schwarz vor Augen.
„Habt Ihr gehört, was ich sage? Seht gefälligst auf!“, sagte der Rat scharf.
Mit Mühe schaffte er es aufzusehen. Kurz blickte er dem Rat in die dunklen Augen, winzige spitz-züngelnde Kerzenflämmchen spiegelten sich darin. „Ich glaube, sie wurde entführt“, flüsterte er.
„Entführt?“ Webers Mund blieb offen stehen, ungläubig sah er zu dem Schreiber hin, als wolle er sich vergewissern, dass auch der diese unsinnige Behauptung gehört habe. Dann fragte er: „Wer sollte eine Magd entführen? Besitzt Ihr so viel, Eichhorn, dass man Euch darum das Weib entführt?“
Wie sollte er sich aus dieser Notlage herauswinden? Schwer war ihm das Herz, so schwer.
„Sie ist weg und … und …“ Er schlug die Hände vors Gesicht. Er brachte es nicht über sich, er
konnte
nicht mehr sagen, auch wenn er den Hofgerichtsrat am liebsten angefleht hätte, Hedwig und Juli suchen zu lassen.
„Etwas stimmt ganz und gar nicht mit Euch, Eichhorn!“, sagte der, und seine Stimme klang ungehalten und besorgt zugleich. „So wollt Ihr nicht doch sagen, was geschah?“
Selbst wenn er gewollt hätte – es ging nicht. Etwas lähmte ihn. So hatte er niemals zuvor empfunden, er kannte das nicht. Sprachlos, reglos, betäubt.
„Man wird Leute Eures Umfelds befragen müssen. Freunde, Kollegen. In Botenmeister Biber“, der Hofgerichtsrat deutete erneut auf den noch immer wie eine Statue stehenden Mann, dem Philipp unterstand, „habt Ihr einen Fürsprecher, doch das wird Euch nichts nützen, so Ihr Euch schuldig gemacht habt. Bringen weder die Zeugen noch Ihr Licht ins Dunkel, wird die peinliche Befragung anzuordnen sein, das wisst Ihr doch, nicht wahr? Eichhorn? Ihr hört, was ich sage?“
Philipp hatte das Gefühl, jemand zöge ihm den Boden unter den Füßen weg. Er wankte.
Botenmeister Biber schien es zu merken, tat zwei rasche Schritte auf ihn zu und fasste ihn am Arm.
„Ich habe ihr nichts getan“, flüsterte Philipp. Er hob den Kopf, sah erst den Botenmeister, dann den Hofgerichtsrat an. „Man muss sie suchen – doch ich weiß nicht wo …“
„Ich habe ganz den Eindruck, als wäret Ihr nicht Herr Eurer Sinne, Eichhorn. Sammelt Euch. Bedenkt Euch. Dies war ein erstes gütliches Verhör außer der Reihe, da Ihr Kanzleiverwandter seid. Am Montag sprechen wir uns vor dem vollzählig versammelten Gericht wieder.“ Er wedelte mit der Hand in Richtung der Büttel, die beidseitig der Tür warteten. „Bringt ihn zurück!“
Siebenundzwanzig
Leises Knistern von brennendem Holz. Ein schwerer, süßbitterer Geruch, der sich mit Rauch mischte, stieg Hedwig beim Wachwerden in die Nase. Sie öffnete die Augen – und blickte geradewegs auf Juli, die dicht bei ihr lag und an etwas nuckelte. Unter dem Schaffell bewegte sie die Beinchen.
Hedwig stützte sich auf den Ellbogen, drehte den Kopf und sah über die Schulter. Ryss hockte beim Feuer und schabte über Kinn und Wangen. Als er das Rasiermesser in den Tiegel tauchte, in dem sie warmes Wasser vermutete, sah er zu ihr her und nickte. Sofort dachte sie an Philipp und daran, dass dessen blonder Flaum ums Kinn nach ein, zwei Tagen kaum der Rede wert war. Sie spürte Harndrang, richtete sich auf, tappte zum Höhleneingang.
„Gebt acht!“, rief Ryss ihr hinterher, und sofort kam die Angst wieder, die im Schlaf zur Ruhe gekommen war. Sie näherte sich dem Eingang, spähte vorsichtig hinaus. Eine weiße Welt begrüßte sie. Tief hing ein grauer Himmel über dem neu gefallenen Schnee, neblige Stille lag über dem Winterwald. Sie ließ den Blick schweifen. Dunkle Baumstämme, gelbes Gesträuch. Und Ryss’ Fußspuren auf dem Gestein um sie her. Wahrscheinlich war er hinuntergeklettert, um Holz zu sammeln. Sie hangelte sich
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