Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Wunnenstein, von Sickingen. Zwischen manchen der Namen war Platz gelassen. „Es listet Namen von Vasallen auf.“
„Von Rittern“, wiederholte er verstehend.
„Es scheint ein Lehenbuch zu sein.“
„Ein was?“
Was wusste sie darüber? Wie es einem Fremden erklären? „Der Fürst gibt einem Ritter etwas. Eine Burg. Ein Dorf. Oder auch Zolleinnahmen. Dafür muss der Ritter etwas für den Fürst tun. In den Krieg ziehen. Oder am Hof dienen. Das heißt Lehen.“
„Verstehe. Ist auch so bei uns.“
„Der Ritter bekommt eine Urkunde darüber, dass er das Lehen erhielt. Und weil die Urkunde wichtig ist, schreibt man sie noch einmal ab.“ Sie zeigte mit dem Finger auf den Eintrag vor sich. „In ein Buch wie dieses. Es enthält also eine Liste jener, die Lehen erhielten. Und was ich vorhin sagte, dass der Erhalt mit einem Schriftstück bestätigt wird, ist ebenfalls hier drin verzeichnet. Seht hier.“ Hedwig zeigte auf eine lose beigefügte Urkunde auf einer der ersten Seiten. „Das hier scheint das urschriftliche Revers des Lehensmannes zu sein.“ Nachdenklich betrachtete sie das Pergament. „Manchmal ist es beigefügt – hier ist noch eines –, manchmal in Abschrift und manchmal gar nicht. Dann steht da nur: „Hat ein Revers geben“. Ich weiß von Philipp, dass der Registrator in der Kanzlei über erhebliche Arbeit klagt. Dass viele alte Bestände noch gar nicht aufgearbeitet sind. Und dass es in Anbetracht der Fülle oft gar nicht möglich ist, sämtliche Urkunden in ein Kopialbuch einzutragen.“ Was bedeutete dies? Die Bösewichter waren Vasallen? Und sie hatten etwas ausradiert. Sie wollten somit ein Lehen auslöschen? Das hieß, wenn niemand mehr über eine bestehende lehensrechtliche Bindung Zeugnis geben konnte, würde, was auch immer es gewesen sein mochte, zum Eigenbesitz hinübergleiten. Das war Betrug am Landesherrn. Und für diesen Frevel hatten die Männer einiges gewagt. Jäh formte sich ein Erkennen. Der schemenhafte Mann im dunklen Umhang, den sie am Abend ihrer Entführung vor dem Haus ihrer Herrschaft ausgemacht hatte! Er hatte nicht das Handelshaus ausspioniert, sondern auf
sie
gelauert. Sie dachte daran, wie unwohl sie sich gefühlt hatte, als sie über den Marktplatz gegangen war. Jetzt wusste sie, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Er hatte ihre Gewohnheit beobachtet. Hedwig schluckte. Bedeutete dies auch, dass er wusste, wo sie wohnte? Und Philipp? Ganz flau wurde ihr im Magen, heiß und kalt spürte sie die Angst im Nacken. Sie und Philipp waren benutzt worden. Und Ryss ebenso. Ruckartig sah sie zu ihm hinüber. Schweigend hatte er sie angesehen. „War es eher am Anfang oder in der Mitte, wo Ihr löschen musstet?“
„Weiter hinten.“
Sie fand, was sie suchte. Auf einer linken Seite war unten nichts beschrieben. Und auf der rechten ebenfalls nicht. „Hier, nicht wahr?“ Sie fuhr mit dem Finger über die neu geglättete Stelle.
Ryss kam heran. Er blätterte eine Seite vor und zurück und nickte dann.
„Hier also wurde radiert. Links und rechts. Das heißt wohl, Lehensbrief
und
Lehensrevers waren in Abschrift verzeichnet. Und …“
„Was?“
„Nein, mein Gedankengang war falsch.“ Ungehalten stieß sie Luft aus.
„Weshalb?“
„Ich dachte, es müsse dann ja sein, dass dieses Revers selbst irgendwo im Archiv lagert und man darüber herausfinden kann, wer die Schelme sind. Aber das kann nicht sein, denn dann müssten sie ja auch dieses suchen und vernichten.“
„Wer sagt Euch, dass sie es nicht taten? Ihr wisst ja nicht, was vorfiel in der Kanzlei und was Euer Ehemann tat.“
Nachdenklich starrte sie ins Feuer, das am Verlöschen war, da keine Ästchen mehr vorhanden waren.
„Ihr habt recht.“ Sie erhob sich, biss sich auf die Unterlippe und nahm ihren Mut zusammen. „Master Ryss, wir müssen nach Heidelberg. Wir müssen das Kopialbuch zurück in die Kanzlei bringen. Ich will wissen, wer uns das antat. Und ob zusammen oder allein: Wir sind in Gefahr. Einen Toten gab es bereits. Ich bin auf Eure Hilfe angewiesen, denn Ihr seid Zeuge. Bitte lasst mich nicht allein.“
„Ich dachte, es sei klar inzwischen, dass ich nicht vorhabe dies.“
Ein Stein fiel ihr vom Herzen! Hedwig sandte ihm einen dankbaren Blick. Ryss bückte sich schroff nach seinen Sachen. Da spürte sie einen Hauch Zerrissenheit, einen Hauch dessen, was ihn ausmachte. Er wollte niemandem zu Diensten sein und fühlte sich dennoch verpflichtet, ehrenhaft zu handeln. Er wollte mit nichts
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