Das Buch des Vergessens
und da Widerstand spürbar, den all dieses Durchpausen und Mechanisieren des Porträtierens hervorrief. Tatsächlich zeichnete sich da schon die Arena ab, in der nach 1839 über das Verhältnis zwischen gemaltem und fotografiertem Porträt gekämpft werden sollte. 1837 schrieb Nathaniel Hawthorne ›The prophetic pictures‹, eine kurze Geschichte, in der er Themen verwob, die auch heute noch das Denken über Porträts beherrschen: ihr Verhältnis zum Leben, der Zeit, dem Gedächtnis.
Anmerkung
Walter lädt seine Verlobte Elinor ein, gemeinsam für ein Porträt Modell zu stehen. Er will den Auftrag einem Maler gönnen, der kurz zuvor nach Boston gekommen ist: »Man sagt, er male nicht nur die Züge einer Person, sondern auch ihren Geist und ihr Herz. Er sieht die geheimen Gefühle und Leidenschaften und wirft sie wie Sonnenstrahlen auf die Leinwand – oder vielleicht, bei Porträts von Männern mit düsterer Seele, wie ein Glimmen des Höllenfeuers.«
Anmerkung
Seine Porträts flößten Respekt ein, aber auch eine unbestimmte Angst: Manche Menschen wurden abgeschreckt von einer »Kunst, die das Bildnis der Toten zwischen den Lebenden zu halten vermochte, und neigten dazu, den Maler als einen Magier zu betrachten«.
Anmerkung
Noch ein weiteres Gerücht machte über ihn die Runde: Sein Blick solle so durchdringend sein, dass er im Porträt die Zukunft des Porträtierten einzufangen wusste. Er male eine Prophezeiung.
Hawthorne unterbricht die Erzählung mit einer Überlegung. Warum wollen wir uns eigentlich porträtieren lassen? Wir können doch auch in den Spiegel schauen? Der Grund muss darin liegen, dass das Bild im Spiegel verschwindet, wenn wir weggehen – und kurz darauf auch aus unserem Gedächtnis verschwunden ist. »Es ist die Vorstellung von Dauer – von irdischer Unsterblichkeit –, weswegen wir ein so geheimnisvolles Interesse an unserem eigenen Porträt haben.«
Anmerkung
Auch Walter suchte für sich und seine Verlobte nach irdischer Unsterblichkeit, ein Porträt, auf dem sie nicht mehr älter wurden. Aber als sie sich die vollendeten Porträts anschauen, erschrecken sie heftig. Je länger sie Elinors Porträt anschauen, desto trauriger und ängstlicher wirkt ihr Augenaufschlag.
»Dieser Blick«, flüsterte sie erschauernd, »wie kam der da hin?«
»Verehrte«, sagte der Maler betrübt und nahm ihre Hand, »in beiden Porträts habe ich gemalt, was ich sah. Der Künstler – der wahre Künstler – muss tiefer schauen als das Äußere. Es ist seine Gabe – seine stolze, aber oft auch düstere Gabe –, ins tiefste Innere der Seele zu schauen und diese durch eine Kraft, die er selbst nicht versteht, auf der Leinwand leuchten zu lassen oder abzudunkeln, in einem Blick, der das Denken und Fühlen von Jahren ausdrückt. Könnte ich mich in diesem Fall doch nur davon überzeugen, dass ich mich irrte!«
Anmerkung
Natürlich irrte der Maler nicht. Im Laufe ihrer Ehe wird Elinor ihrem Porträt immer ähnlicher. Das deprimiert sie so, dass sie es schließlich mit einem seidenen Vorhang verhängt, angeblich, um es vor Staub zu schützen. Jahre später, als der Maler sie noch einmal besucht, nährt dies seinen heimlichen Stolz: Er versetzte mit seinen Porträts nicht nur die Vergangenheit »in den schmalen Streifen Sonnenlicht, den wir das Jetzt nennen«, sondern hatte auch die Zukunft in die Gegenwart gebracht, er war wirklich ein Prophet.
Anmerkung
Aber auch Hawthorne wurde von dem Spiegel bezaubert, der nichts vergaß. 1851 veröffentlichte er den Roman The house of the seven gables. Die Intrige dreht sich um ein Porträt, angefertigt vondem jungen Daguerreotypisten Holgrave. »Ich mache Bilder aus Sonnenlicht«, sagt er bescheiden, fügt aber noch hinzu, das Sonnenlicht mache mehr, als nur die äußeren Züge abzubilden, in Wirklichkeit zeigt es jemandes verborgenen Charakter, so wahrheitsgetreu, dass kein Maler sich daran wagen würde, wenn er ihn denn entdeckte.
Anmerkung
Das Porträt, das Holgrave angefertigt hat, ist so ungewöhnlich scharf, dass es etwas über den Mann verrät, der Modell gestanden hatte, einen für das bloße Auge unsichtbaren Zug, der mit etwas zusammenhängt, das sich unter seinen Ahnen abgespielt hat. Der Tenor des Romans ist, dass es dem Daguerreotypisten gelingt, nicht nur die Gegenwart des Porträtierten festzuhalten, sondern auch seine Vergangenheit und sogar die Geschichte seiner Familie.
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