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Das Buch des Vergessens

Das Buch des Vergessens

Titel: Das Buch des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Elektrode ein wenig.
    »Und was spüren Sie jetzt?«
    »Haben Sie mir kaltes Wasser über die Hand geschüttet, Doktor Penfield?«
    Der Arzt antwortet nicht. »Und jetzt?«
    Ihr Gesicht bekommt einen ängstlichen Ausdruck.
    »Was ist, Frau Gold?«
    »Verbrannter Toast! Doktor Penfield, ich rieche verbrannten Toast!«
    Penfield wechselt einen einvernehmlichen Blick mit seinen Kollegen. Gefunden. Dann übernimmt die Stimme der Frau aus dem Off: »Dr. Wilder Penfield. Er heilte mich von meinen Anfällen – und noch Hunderte andere. Man sagt, er habe die Karte des menschlichen Gehirns gezeichnet. Wir nannten ihn einfach: the greatest Canadian alive!«
    Kanadier wurde Penfield erst 1934, als er sich mit seiner Frau einbürgern ließ. Wilder Graves Penfield war 1891 in Spokane (Washington) als Sohn und Enkel von Ärzten geboren.
Anmerkung
    Er studierte zunächst Philosophie, wechselte jedoch schon bald zur Medizin. Danach zog er nach Oxford, wo er sich unter Sherrington auf die Neurologie konzentrierte. 1928 wurde er nach Montreal eingeladen und erhielt eine zweigeteilte Anstellung an der medizinischen Fakultät der McGill University und dem Royal Victoria Hospital. Schon damals galt seine Leidenschaft einem Gebiet, das gerade erst in Entwicklung war: der operativen Behandlung von Epilepsie. In den Folgejahren arbeitete er hart an der Realisierung dessen, was ihm seit seiner Ankunft vor Augen gestanden hatte: einem separaten Institut, an dem die besten Neurophysiologen, Neurochirurgen und Neuropathologen vereinigt waren und klinische Arbeit und Forschung miteinander verbunden werdenkonnten. Er bekam eine stattliche Spende der Rockefeller Foundation, und 1934 öffnete das Montreal Neurological Institute ( MNI ) seine Türen.
Anmerkung
    Wilder Graves Penfield (1891–1976) im Alter von siebenundsechzig Jahren
    In den unteren Etagen des acht Stockwerke zählenden Gebäudes boten Krankensäle Platz für fünfzig Betten. Auf den oberen Etagen befanden sich Laboratorien. Aber im fünften Stock, zwischen Pflege und Forschung, befand sich das Herz des MNI : die ›Theater‹, die Operationssäle. Sie hatten tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit Theatern. Rund um den OP – Tisch verlief eine gläserne Galerie, damit Zuschauer die Operationen praktisch über Penfields Schulter hinweg beobachten konnten. Am Kopfende stand das Gerät von Herbert Jasper, einer Autorität auf dem Gebiet der EEG – Messungen. Während der Operationen machte es EEG s direkt von der freigelegten Hirnoberfläche. Unter der Zuschauergalerie war eine Zelle für den Fotografen eingerichtet worden, der über einen Spiegel Aufnahmen vom Gehirn machen konnte. Ein Stenograf nahm das Diktat des Chirurgen auf. Mit einem Summersystem konnten nach Belieben Mitarbeiter herbeigerufen werden, wenn Penfield der Ansicht war, sie sollten sich etwas Besonderes anschauen. Das MNI entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zu einem center of excellence, noch bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Aus der ganzen Welt reisten Spezialisten für Studienaufenthalte nach Montreal.
    Bevor er nach Montreal kam, hatte Penfield ein halbes Jahr bei dem deutschen Neurochirurgen Otfried Foerster studiert. Dieser Mann galt als Papst der europäischen Neurologie, und Penfield lernte sogar extra Deutsch, um mit ihm kommunizieren zu können. (Nach ihrem Kennenlernen zeigte sich, dass Foerster gern sein Englisch an Penfield erprobte.) In Breslau hatte Foerster Patienten operiert, die nach den Hirnschädigungen, die sie sich im Krieg zugegezogen hatten, zu Epileptikern geworden waren. Penfield schaute sich seine Technik ab und verfeinerte sie. Sie sollte als ›Montrealverfahren‹ in die Geschichte eingehen. Erst wurde mit EEG – Messungen am kahl geschorenen Schädel die ungefähre Position des Epilepsieherdes festgestellt. Danach entfernte Penfield unter örtlicher Betäubung einen Teil des Schädels, damit die Hirnoberfläche freilag. Das Gehirn selbst ist gefühllos. Der Patient blieb bei Bewusstsein und musste berichten, was er spürte, während der Chirurg Windung für Windung die Oberfläche mit einer Elektrode abtastete, die immer wieder einen fünf Millisekunden dauernden Stromstoß von 2 Volt abgab. Es war eine außergewöhnlich belastende Operation, die vonseiten des Patienten viel Vertrauen in den Arzt erforderte. Penfield hat immer betont, das Montrealverfahren müsse auf klinische Anwendungen beschränkt bleiben, wie bei Epilepsie, die mit Medikamenten nicht mehr zu

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