Das Buch des Wandels
ein Ornithologe für exotische Vögel. Krebspatienten im Terminalstadium behandelt er wie lästige Bittsteller und asoziale Querulanten. Als ein unheilbarer Krebspatient eine Behandlung verweigert mit dem Argument »Ich war zu lange in diesem Körper gefangen, ich möchte hier endlich herauskommen und erlöst werden«, antwortet House: »Herauskommen? Wohin? Glauben Sie, es wachsen Ihnen Flügel und Sie fliegen mit anderen Engeln herum? Seien Sie kein Idiot. Es gibt kein ›danach‹, alles, was ist, ist das hier!« Danach entfaltet sich folgender Dialog mit Wilson, seinem besten Freund:
Wilson: Du kannst einem sterbenden Menschen keinen Trost in seinem Glauben finden lassen?
House: Sein Glaube ist bescheuert!
Wilson: Warum kannst du ihm nicht einfach sein Märchen lassen, wenn es ihn erleichtert, sich seine Liebsten vorzustellen, das Meer und ein Leben außerhalb des Rollstuhls?
House: Und dann sind da wahrscheinlich 72 Jungfrauen …
Wilson: Es ist vorbei. Er hat vielleicht noch einige Tage zu leben. Was ist so schlimm daran, wenn er diese Zeit mit einem friedlichen Lächeln verbringt? Was für eine kranke Befriedigung ziehst du daraus, sicherzustellen, dass er voller Angst und Verzweiflung ist?
House: Er sollte keine Entscheidung treffen, die auf einer Lüge basiert. Verzweiflung ist besser als nichts! 8
House ist der Inbegriff des »polychromen« Menschen der Neuzeit. Er ist radikal und konservativ zugleich (er ist irre neugierig, wohnt aber seit 15 Jahren im selben Apartment). Er trägt fast nie Arztkleidung und hat nicht den geringsten Respekt vor »bewährten Methoden« (er verschreibt einem Mann mit Darmproblemen Zigaretten, einem Patienten, der auf Viagra besteht, gibt er Vitamintabletten, und einen Patienten mit Schlafproblemen behandelt er mit Placebo-Bonbons). Er ist ein exzentrischer, atheistischer Zyniker vor dem Herrn. Und ein Wahrheitssucher antiker Färbung. Anders als in Prozessen »nach dem Lehrbuch« (analog zu Produktionsproblemen in einer Fabrik) gibt es im House-Universum keine Routine – die Komplexität des »Systems Mensch« (der nörgeligen Kunden) produziert am laufenden Meter neue Unberechenbarkeiten. Seine Patienten kollabieren, schießen um sich, erleiden von einer Sekunde auf die andere einen Anfall, der ihnen das Blut aus den Ohren spritzen lässt – das Leben, so ahnen wir, ist eine prekäre Angelegenheit. Um Forrest Gump zu zitieren: Man weiß nie, was in der Pralinenschachtel drin ist. Die harmlose Infektion erweist sich als Tumor, der scheinbare Krebs als tropischer Parasit. Und manchmal ist das Symptom für eine in den nächsten 24 Stunden garantiert tödlich verlaufende Krankheit außergewöhnlich gute Laune.
House ist ein hochkooperativer Autist. Er organisiert seinen kognitiven Prozess durch ein Team, das er (scheinbar) tyrannisch beherrscht: Da ist vor allem Chase, der blonde Schönling aus Australien, Allison Cameron, die sensible Ärztin mit Hang zu versterbenden Patienten. Und Foreman, ein schwarzer Spezialist. Und sein bester Freund Wilson.
In Wirklichkeit agieren die Teammitglieder ebenso eigensinnig wie House selbst. Das Team funktioniert nach dem System »Schlacht der Ideen« – Theorien, Vermutungen, kreative Lösungen werden hin und her geworfen, verworfen, zynisch und radikal zerpflückt. House beleidigt, provoziert und ignoriert seine Mitspieler – und schenkt ihnen gerade auf diese Weise Aufwertung und
Aufmerksamkeiten. Ständig reißt er das Team aus der Komfortzone einfacher Erklärungen. Leute, die seiner Meinung sind, setzt er sofort vor die Tür. Und als er nach allzu vielen Konflikten und Beleidigungen sein Team verliert, beginnt er, Fehler zu machen.
Diversität als Führungsprinzip
Das »System House« ist nichts anderes als eine Allegorie für das Wesen des Führungsprozesses in der Kreativen Ökonomie. Sinn aller Operationen ist das Verstehen der Zusammenhänge. Das, was produziert wird, ist kein Produkt mehr, sondern Wissen. Ständig muss man Rätsel lösen, auf neue Irritationen eingehen. Kommando- und Kontrollaktionen nutzen nichts, Hierarchien sind sinnlos, und deshalb kann man allenfalls mit ihnen spielen (Menschen sind nun einmal Statustiere). Gute Führung heißt, Teammitglieder, die Mitarbeiter und Kunden, zum Leuchten zu bringen. House sagt: »Gehe immer davon aus, dass jemand im Raum besser ist als du!« 9
Führung im 21. Jahrhundert ist die Fähigkeit, verschiedene Expertisen multiperspektivisch zu einem Erkenntnisprozess zu
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