Das Buch des Wandels
ordnen und daraus Strategie zu generieren. Weil der Einzelne nicht alles wissen kann, muss er sich durch andere Spezialisten ergänzen, aber diese Spezialisten müssen nach einem Prinzip der »ergänzenden Differenz« zusammengestellt sein, sonst wird die Gruppe keine guten Leistungen erbringen und dem eigenen Tunnelblick anheimfallen. Bei jedem klassischen Scifi-Film haben wir dieses Prinzip des »multikognitiven Teams«: Immer werden die besten Wissenschaftler der Welt von Geheimdienstagenten von zu Hause abgeholt. Meistens steht ein dunkel gekleideter Agent vor der Tür (es regnet in Strömen) und sagt:
»Sind Sie Dr. Aubrey Smith, Professorin für Astrophysik?«
»Das bin ich. Was wollen Sie?«
»Kommen Sie bitte mit, dies ist ein nationaler Notstand!«
»Aber ich muss doch noch / mich um mein alleinerzogenes Kind kümmern / meine Scheidung einreichen / mein Leben neu ordnen / meinen Nobelpreis feiern / Frieden mit meinen alten kranken Eltern schließen (Zutreffendes bitte anstreichen). «
»Wir werden Ihnen später alles erklären. Sie müssen jetzt mitkommen, sofort!« – und ab geht es in den Army-Hubschrauber, der zu einem atomsicheren Bunker fliegt, wo schon der gütige und / oder verwirrte amerikanische Präsident wartet, der dringend Rat von all den herbei geflogenen Astrophysikern, Stammzellenforschern und Spezialisten für Extrabiologie, Terraforming und fortgeschrittene Neurobiologie erwartet. Allesamt Exzentriker, Individualisten der schwierigen Sorte. Aber nur sie können die Menschheit retten.
In Dr. Houses Patientenkörpern können jederzeit Immunsysteme verrücktspielen. In der realglobalen Wirtschaftswelt Märkte ausflippen, Kunden durchdrehen, Lieferanten sich in Konkurrenten verwandeln, Regulatoren riesige Investitionen zunichtemachen. Um sich fit zu machen für diese Welt der Unsicherheit, muss die Wirtschaft eine »Kultur des Scheiterns« entwickeln.
»Problemlösen fängt für Psychologen deshalb bei der Überprüfung des eigenen Standpunktes an. Und diese Fähigkeit entwickelt man am besten, wenn man sich einer großen Zahl unbestimmter, komplexer und heterogener Probleme konfrontiert. Eigene Schwächen und eigenes Versagen zu erleben ist dabei schon die halbe Miete.« 10
Fehler der Selbststeuerung
Ende März 2008 ereignete sich einer der interessanten Fälle eines Scheiterns im Reich des Luftverkehrs, ohne dass Menschen ums Leben gekommen wären. Bei der Eröffnung des neu erbauten Terminals 5 in London-Heathrow kam es zu Stockungen und Staus bei der Gepäckabfertigung. Obwohl sofort ein Krisenstab
eingerichtet wurde, eskalierten die Probleme über mehrere Tage, bis sie, nach drei Wochen, mit völligem Chaos und der Stilllegung des gesamten Terminals endeten. 30 000 Gepäckstücke gingen verloren oder blieben unauffindbar. 300 Millionen Pfund wurden verbrannt. Der Flughafendirektor musste einige Monate später seinen Hut nehmen.
Wie konnte das geschehen? Vor dem Anlaufen des Komplexes war ein Höchstmaß an Checks und Gegenchecks ausgeführt worden, viele Übungsläufe hatten stattgefunden. Man hatte sogar einen Systemspezialisten für Flughäfen aus Deutschland einfliegen und komplette Systemsimulationen durchführen lassen.
Das Problem begann am ersten Morgen mit einer marginalen Knappheit. Es gab zu wenige Parkplätze für die Techniker und Arbeiter des Gepäcksystems. Einige von ihnen mussten meilenweit vom Flughafengelände entfernt parken und kamen genervt zu spät. Einige der Fahrstühle funktionierten noch nicht, worauf sich beim Eingang lange Staus bildeten. Die Gepäcksysteme waren nicht mit dem Gesamtsystem des Londoner Flughafens synchronisiert, so dass »durchgehendes Gepäck« von Hand gekennzeichnet werden musste. Das kostete Zeit. Derweil stauten sich die Koffer auf den Bändern, fielen herunter und mussten von hastig von benachbarten Baustellen zusammengerufenen Hilfsarbeitern beiseite geräumt werden. Überall im Terminal entstanden daraufhin »Gepäcktürme«, die den Wartungstrupps den Weg versperrten. Schließlich endete das gestaute Gepäck in großen Containern in Italien. 11
Nicht obwohl, sondern weil so viele Simulationen durchgeführt worden waren, funktionierte das System nicht. Denn diese Probeläufe suggerierten dem Management Kontrollfähigkeit, Linearität. Woran es fehlte, war spontane Flexibilität und Improvisationsvermögen. Das System war »überplant«.
Hochkomplexe Systeme verlangen eine andere Kultur als statische. Es ist etwas anderes,
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