Das Buch des Wandels
Serie läuft seit 40 Jahren (1969) in über 50 Ländern der Welt und seit Beginn des Satellitenzeitalters in praktisch allen Fernsehern der Welt. In Indonesien heißt sie »Jalan Sesama« und propagiert die ethnische und kulturelle Diversität der indonesischen Gesellschaft, ebenso wie in Südafrika, wo ein Muppet HIV-positiv ist und damit umgehen lernt. In Israel, Palästina und Ägypten werden Mädchen unentwegt darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, Schreiben und Lesen zu lernen. »Sesamstraße« und die Schwestersendung »Muppet
Show« sind eine basisdemokratische Partizipationswelt der globalen Toleranz, des Bildungsprimats, der Entwicklungspsychologie, der Individualität – und des Humors. Kermit der Frosch, Bibo der Vogel, Miss Piggy, Krümelmonster, Oskar, Ernie und Bert, Grobi, Mumpitz, Samson und die zwei nörgeligen Alten in der Loge sind ein Abbild der gesellschaftlichen Diversität des 21. Jahrhunderts. »Die einzigen Kinder, die Sesamstraße durch eine Rassenbrille sehen könnten, müssten grün oder orange sein«, sagte einst Jim Henson, der einflussreiche Schöpfer der Serie.
Wir alle sind die Produkte unserer kulturellen Einwirkungen, unserer »gesammeltem Meme«. Obama gibt, wie ein verantwortlicher Führer des kreativen Weges es tun muss, die Verantwortung zurück an die Mitspieler, ohne die eigene Verantwortung zu negieren – ein klassisches Re-Framing. Wenn er in Afrika spricht, macht er klar, dass die Afrikaner auch selbst verantwortlich für ihre Korruption, ihre Stagnation sind – und nicht nur der Kolonialismus des vergangenen Jahrhunderts. Wenn er das Gesundheitswesen reformieren will, versammelt er zunächst einmal alle Beteiligten an einem Tisch, mit einer deutlichen Aufforderung an die gesamte Gesundheitswesen-Muppet-Show, an Behörden, Pharmaindustrie, Krankenhausbetreiber, Gemeinden und Bürger, sinnvolle Vorschläge vorzulegen, wie man Amerikaner gesünder machen kann.
Keiner verlässt den Saal, der keine konstruktiven Vorschläge gemacht hat! Das könnte so etwas wie die zentrale Politparole der kreativen Gesellschaft sein. Verantwortliche politische Führung im 21. Jahrhundert setzt auf die Kräfte der Zivilgesellschaft, der Partizipation, des Ausgleichs. Sie zähmt das Populistische im Pragmatischen, schafft Netzwerke des Wandels, beharrt auf kooperativer statt dirigistischer Methodik. Politik von morgen entsagt dem Utopischen, weil sie eine bessere Alternative hat: viele kleine Schritte des Wandels. Das ist schwer genug. Aber alle andere Politik ist brandgefährlich. Oder nur noch hilf- und hoffnungslos.
Ausklang
YES WE CAN!
Alles in der Welt begann mit einem JA. Ein Molekül sagte JA zu einem anderen Molekül, und das Leben begann.
Clarice Lispector
Ein weißes Fabrikgebäude mit Blick auf den Hafen, in dem bis in die siebziger Jahre Heringe geteilt, entgrätet, gepökelt wurden. Eine breite Ladenfront, in der bis zur »kreppa«, der großen Krise, die Island im Herbst 2008 wie ein Tsunami ereilte, kühle und teure Designermöbel standen. Nun findet sich hier ein Café, jede Menge durcheinandergewürfelte Schreibtische, Monitore. Ein Tischfußball, eine Tischtennisplatte, Plakate, Zeitungsausschnitte, Bilder an den Wänden, Zettel, kleine Kunstwerke. Ein Fernsehstudio, ein professioneller Konferenzraum mit Videowand, Sofas und Matratzen. Hier residiert das »Ministry of Ideas«, Islands Antwort auf den Kollaps seiner Wirtschaft, auch »Hugmyndahus«, Haus der Ideen, genannt. Eine von Reykjavíks Universitäten unterstützte Ideenschmiede und Netzwerkbörse für junge Unternehmen, eine Brutstätte für kommende Entrepreneurs. Aber auch ein Krisenforum für kreative Isländer, die sich für die Zukunft ihres Landes engagieren wollen.
Eine Gruppe widmet sich dem Food-Design. Man bringt innovationswillige Bauern mit experimentierfreudigen Edelrestaurants zusammen. Erste Produkte stehen schon: Rhabarbertoffee aus Rhabarber und Zucker, und Sláturtorte, eine Abwandlung des isländischen Nationalgerichts slátur, das aus Schafsblut, Zwiebeln, Mehl und Gewürzen besteht. Ein anderes Startup-Team widmet sich einem ehrgeizigen Mind-Games-Projekt. Mit Sensoren sollen die eigenen Hirnströme auf dem Handy sichtbar gemacht und durch lustige Entspannungsübungen beruhigt und fokussiert werden. Jeden Samstag versammeln sich rund 200 Menschen zu
offenen Diskussionen über die Perspektiven eines anderen Island nach der Krise. Professoren, Farmer, Hausfrauen,
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