Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
Vom Netzwerk:
nähern, müssen wir noch etwas tiefer in die systemische Kognitionswissenschaft eintauchen. Abbildung 1 zeigt ein Diagramm der Mensch-Umwelt-Lern-Beziehungen, entwickelt von John D. Sterman, einem der Begründer der systemischen Organisationstheorie. 11

    Abb. 1 : Die doppelte Lernschleife nach John D. Sterman
    Damit wir unsere Umwelt »realistisch« (im Sinne zielführender Handlungen und Reaktionen) erkennen können, brauchen wir bestimmte kognitive Rückkoppelungsschleifen. Der obere Kreis führt von Informationen zu Handlungen – alle Organismen mit Sinnesorganen verfügen über dieses Basis-Reaktions-System, das nichts anderes darstellt als die »Logistik des Lebens«. Menschen allerdings verfügen aufgrund ihres großen Neocortex noch über eine zweite Schleife. In ihr organisiert sich das Erfahrungs- und Kulturwissen (die Meme).
    Wie ist dieses Symbolsystem aufgebaut? Menschen bilden aus Umweltinformationen Modelle, die auf der operativen Seite zu Strategien des Handelns führen, die wiederum in Erfahrungen und neue Informationen münden. Wenn diese Kreisläufe geschlossen sind,
führt die Schleife zu Lernprozessen. Auf diese Weise kann Angst in Furcht und damit in Bewältigungsverhalten umgewandelt werden.
    »Kultur« ist nichts anderes als eine stabile »Feedback-Schleife« zwischen »mir« (meiner Gruppe), meinen inneren symbolischen Regeln und Theoremen, den Handlungen und der Umwelt. Ich (wir) handele, ziehe daraus Lehren, auf denen neue Strategien und Handlungen basieren, bis das Ergebnis synchron mit dem Modell ist und so fort. Mit Hilfe dieses Modells moderieren Menschen (und Kulturen) Umweltveränderungen, indem sie ihre inneren Modelle den äußeren Realitäten anpassen – der Kern jenes Synchronisationsprozesses, von dem im letzten Kapitel die Rede war. Und genau dieser Rückkoppelungsprozess war bei den Maya anscheinend gestört. Ihr Symbolsystem überwucherte ihr Informationssystem wie die Lianen ihre Städte. Ihr aufwendiges magisches Kalendersystem, ihre Zählwut, mit der sie jedes Ereignis in Vergangenheit und Zukunft auszurechnen und zu prophezeien versuchten, offenbart ein ganz spezifisches Weltmodell. Die Maya waren davon überzeugt, dass sich die Welt in einem ständigen, radikalen Zerfallsprozess befand, der nur durch ständige Opferung, Weihung, Predigt aufgehalten werden konnte. Vor lauter Verzweiflung begannen sie, Götter regelrecht zu produzieren , die sie sogleich in Statuen aus Stein materialisierten und frenetisch anbeteten. 12 In den Worten eines modernen Hirnforschers hört sich das Dilemma folgendermaßen an:
    »Ebenso wie ein Defizit an relevanter Information die Ursache für inadäquates Verhalten und damit psychosozialen Stress darstellt, kann auch ein Informationsüberschuss zu … psychosozialem Stress führen. Weil es nicht gelingt, die vorhandenen Informationen hinsichtlich ihrer realen Relevanz zu klassifizieren! … Da das furchterregende Szenario nur in der Vorstellungswelt existiert, ist keine adäquate Reaktion möglich und eine unkontrollierbare Stressreaktion unausweichlich.« 13
    Auf der operativen Seite setzte sich das Chaos fort: Sosehr sich die Maya auch anstrengten, die Umwelt zu beeinflussen (und sie gaben sich wahrhaftig Mühe, was ihre künstlerischen, handwerklichen und wissenschaftlichen Leistungen zeigen) – es gelang ihnen einfach nicht. Sie hatten keine Lasttiere, kannten kein Rad und konnten Nahrungsmittel nur auf Menschenrücken und damit wenig effektiv transportieren. Ohne Metallverarbeitung (es gab nur einige Versuche mit Eisen) ließen sich keine technischen Herausforderungen größeren Ausmaßes wie Straßen, Bewässerungssysteme oder Dämme bewältigen. Auch die Ressource Arbeitskraft war limitiert: Sklaven konnten nur aus der eigenen Umgebung oder durch Unterwerfung der Nachbarstädte gewonnen werden.
    Noch deutlicher wird das Wesen des Desasters, wenn wir ein weiteres Element in das Diagramm einführen: die virtuelle Welt.

    Abb. 2: Die virtuelle Welt als Teil des Lernprozesses
    Sämtliche Kulturen dieser Erde kennen virtuelle Welten, die man als eine Probebühne für die Wirklichkeit bezeichnen kann. Religionen, Kulte, Opfer, Zeremonien, Ekstasen, Kulte, Gebete – all das dient dem Zweck, herauszufinden, welche Ursache welche Wirkung erzeugen könnte – wie wir eine bedrohliche Umwelt
beherrschen und Angst abbauen können. Je bedrohlicher die Umwelt, desto »vertikal gespannter«, sprich magisch-mythischer, sind diese

Weitere Kostenlose Bücher