Das Buch des Wandels
Liebende entschließen sich, auch die Unterschiede zwischen sich gutzuheißen und zu bejahen. Sie zum Thema des Kontraktes zu machen. Das ist harte Arbeit, nichts sonst.
In der Liebe überschreiten wir die Grenzen unseres Egos mit dem Ziel seiner Erweiterung in einen anderen Raum. »Romantik« hingegen bedeutet nichts anderes als verschleierte Regression. Man hängt einer Illusion von »total Verstandenwerden« und
»wahrem Aufgehobensein« an, die es jenseits des Mutterleibes (und selbst da nur unter Einschränkungen) nicht gibt.
Liebe heißt im Sinne unserer Entwicklungsspirale, den anderen als ein Sprungbrett für den Wandel in die nächste Reifungsphase zu benutzen. Sie macht klein und groß zugleich. Sie macht uns stark und weist uns verlässlich auf unsere Verletzlichkeit hin. Und damit geraten die Dinge ins rechte Lot.
Erlernte Hilflosigkeit: Waffen gegen den Wandel
Am Anfang jedes Selbstwandlungsprozesses – und jeder wahren Liebe – steht ein Entschluss: Man muss mit dem Jammern aufhören. Wer mit sich selbst weiterkommen will, braucht in zyklischen Abständen eine Art Glattstellung der Bilanz. Man muss die Welt so sehen, wie sie ist, ihre ganze Vielfalt, Ungeheuerlichkeit, Unberechenbarkeit. Und sich selbst mit den Augen liebevoller Akzeptanz betrachten: So bin ich geworden, und etwas anderes kann ich (bis jetzt) nicht sein.
Auf dieser Grundlage müssen wir »re-signieren«. Was wiederum im strikten Wortsinn gemeint ist: »neu unterzeichnen«. Wir müssen das Skript, die Signatur verändern. Erst dann werden Freiheit und Wandel wieder möglich.
Jammern ist eine lang erprobte und durchaus sinnvolle Kulturtechnik, sie garantiert (meistens) Aufmerksamkeit von außen und Entlastung nach innen. Alle sozialen Räume verfügen über »Klagezonen«, in denen Menschen ihre Enttäuschungen und Defizite verbal abbauen können. Und das ist auch gut so. In unserer nimmersatten Medienkultur wird das Jammern jedoch zu einem Kult aufgeblasen.
Eine allein erziehende Mutter von vier Kindern tritt in der Talkshow einer berühmten deutschen Talkshowmasterin auf. Sie sieht gut aus und wirkt eher intellektuell, eigentlich ganz fröhlich. Und nun beginnt sie zu klagen. Das Arbeitslosengeld II garantiert ihr nur 2500 Euro im Monat, was für vier Kinder nicht ausreiche.
Sie malt ihre Not aus. Sie sei verbittert, sagt sie schließlich, die Gesellschaft tue nichts für ihre Kinder, man werde von der Politik doch nur betrogen, wenn man Kinder in die Welt setze.
Die Moderatorin, die als Intellektuelle des Talkshowmarktes gilt, fragt nur opportunistisch nach: Ob das denn auch tatsächlich so sei, dass man sich keinen richtigen Urlaub leisten könne, zum Beispiel am Mittelmeer? Und ob die Kinder in der Schule oft enttäuscht seien, weil sie keine Markenklamotten kaufen können? Niemand der anderen Gäste, auch die kluge Moderatorin nicht, stellt die naheliegende Frage, wo eigentlich der Vater dieser Kinder abgeblieben ist – das wäre politisch-moralisch nicht korrekt. Eine naheliegende Beziehungsebene bleibt völlig ausgeblendet. Niemand fragt auch nach der Perspektive jenseits der Abhängigkeit. Wie sich eine solche Lebensgeschichte weiterentwickeln könnte – die Frau ist offenbar gut gebildet und hat Talente. Stattdessen wird das Problem als Problem des Staates definiert, der nicht genug Geld zahlt.
Jeder von uns baut sich im Laufe seiner Biographie eine Pufferzone auf, in der die Defizite gehortet, die Enttäuschungen gepflegt und in rachsüchtige Weltbilder umgeformt werden. Dieses Klagen hat die Funktion einer mobilen psychischen Komfortzone, in der wir uns regelrecht einwickeln: Im Jammern beruhigen wir unsere sprungbereiten Adrenaline und zapfen ein bisschen Belohnungsdopamin durch Selbsttröstung. Jammern ist nichts als eine Art verkrüppeltes Coping. Jammern stellt in einer zweiten Stufe auch eine Balance zwischen unserem Wünschen und unserem Wollen wieder her. So wie Linus saugen wir an unserer Schmusedecke und finden Entlastungen:
Ich bin zu dick – und deshalb habe ich Probleme, den richtigen Partner zu finden.
Ich habe die falsche Ausbildung – mein Leben ist verpfuscht, jetzt kriege ich keinen Job mehr.
Ich habe den falschen Partner geheiratet, der mich jetzt mit all meinen Wünschen im Regen stehen lässt.
Die Welt ist generell schlecht, der Kapitalismus erzeugt ein falsches Leben, in dem sowieso nur Entfremdung möglich ist!
Ich habe doch nichts zu sagen. Wenn »die da oben« mit dem Finger
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