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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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Konzentrat der Sonne direkt unter meinen Augen schimmert. Wie sie sinkt, so sinke auch ich, wir sterben vereint, und je tiefer meine Sichtlinie, desto mehr von der Welt kann ich sehen, bis ich sie schließlich als Ganzes im Blick habe, bis mein Blick über die Wasseroberfläche schießt, über üppige Weiten, über sämtliche Tiere und Pflanzen, ihre farbigen Pelze und buntscheckigen Häute, über glitzernde Meere und rauchende Berggipfel, und ich sehe, wie sich am grell leuchtenden Himmel die Wahrheit auftut: Unseren Leben liegt kein großer Entwurf zugrunde, weder ein perfekter noch ein fehlerhafter. Jede Kreatur versucht einfach, auf ihre Weise zurechtzukommen – so gut es geht, allen Widrigkeiten zum Trotz und unter einer mikrofeinen Frischhaltefolie, mit der die ganze Erde umwickelt ist. Mein Leben bestand darin, dass andere sich von mir und ich mich von anderen ernährt habe. Und unsere Währung war Geld. Des Geldes wegen ist mein Vater nach Berlin gegangen, des Geldes, wegen hat er die Stadt wieder verlassen und seine Frau gleich mit, des Geldes wegen hat er mich verletzt, des Geldes wegen wurde die Aktionsgruppe gegründet, und aus dem selben Grund wurde sie korrumpiert und ich gemobbt. Des Geldes wegen hat die Rehaklinik mich aufgenommen und wieder rausgeworfen, hatte der Zug Verspätung, tauchte ein Polizist auf, wurden Sandwiches bewacht, fuhr ein Taxi zu langsam und sitzt Smuts im Gefängnis. Des Geldes wegen wird der Flughafen abgewickelt, des Geldes wegen dümpelt Gottfried herum, und des Geldes wegen ist Gerd arbeitslos. Seine Frau hat ihn verlassen, weil mein Vater gekommen ist und wieder gegangen ist und ich dann gekommen bin. Und alles des Geldes wegen.
    Alles nur deshalb.
    Ich lasse mich fallen, höre, wie das Wasser über meinen Ohren zusammenschlägt. Das Leben ist in der Tat ein merkwürdiges Tier, mein letzter Freund, Sie sollten es noch einmal genauer betrachten, vielleicht in einem müßigen Moment und bei einem Glas Wein. Einstweilen spüre ich, wie der See durch meine Lippen bricht, wie mein Atem zu blubbern beginnt.
    Und whoosh.
    END
    SPIEL:
    Diesseits, wo sich Kälte in Wärme verwandelt und Rosa in Grau und Blau, höre ich eine Stimme, sehr leise und schwach zuerst, vielleicht die Stimme des Gottes, den wir in uns tragen, vielleicht sogar die eines wirklichen Gottes – ein Enthusiasmus, der gekommen ist, mich auf meiner Reise zu begleiten:
    »Dann hast du also doch noch eine Lösung für alles gefunden«, sagt sie.
    »Ja, ich habe eine Lösung gefunden«, sage ich. »Schlussendlich.«
    »Schlussendlich, ja? Das ist gut, das ist sehr gut.«
    »Ja, es fühlt sich tatsächlich richtig an«, sage ich.
    »Und wie lautet die Antwort – leben oder sterben?«
    »Tja, sterben, fürchte ich. Auch ich bin nur ein Tier.«
    »Wirklich? Schade. Musst nur du sterben – oder müssen das alle Tiere?«
    »Ich kann nur für mich sprechen. Ich glaube, nur ich. Erstmal.«
    »Aha. Es gefällt dir hier also nicht mehr, verstehe ich das recht?«
    »Tja, nein, alles ist komplett den Bach runtergegangen.«
    »Aha, ja, das ist es. Andere Tiere, hab ich recht?«
    »Ganz genau – es ist ein Riesenblutbad.«
    »Aber – wo sind sie denn dann?«
    »Wer, die anderen Tiere?«
    »Ja. Nicht hier?«
    »Tja, nein.«
    »Und?«
    Für einen Gott ist dieser Dialog irgendwie verblüffend, und hustend und nach Luft schnappend schüttele ich den Kopf. Aber kurz darauf meldet sich die Stimme wieder:
    »Außer dir schwimmt hier sonst nichts angezogen herum. Was heißt das wohl?«
    »Na ja – ich will ja nicht schwimmen, die Klamotten sind völlig irrelevant.«
    »Es heißt, dass Tiere so etwas nicht tun. Nur du tust es. Was uns von allen anderen Geschöpfen unterscheidet, ist unsere Fähigkeit, uns zu entscheiden, ob wir wie sie sein wollen oder nicht. Und wenn du dich wie in einer Diktatur von Menschen fühlst, die sich wie Tiere aufführen, dann hast du wahrscheinlich recht – aber da du selbst ein Mensch bist, gibt es etwas, was du dagegen tun kannst. Genau genommen musst du es sogar tun, das ist eine Frage der Ehre.«
    Bei dem Wort »Ehre« merke ich, wie mein Ohr wieder an die Oberfläche poppt.
    »Morgen Abend zum Beispiel werden sich in den Gewölben unter einem Flughafen zwei Spezies von Geschöpfen versammeln: Die einen werden auf Tellern liegen und gegessen werden, die anderen werden sie essen und dabei lachen. Die entscheidende Frage des Lebens ist: Zu welcher Spezies gehörst du?«
    »Muss ich denn eine von beiden

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