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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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sein? Ich wollte etwas sein, was im Rückblick nicht so trostlos und grotesk aussieht.« 36
    »Dann zieh los und mach diesen Wunsch geltend. Sorg dafür, dass es einen dritten Platz gibt am Tisch.«
    »Klingt für mich, als würdest du versuchen, mir die Sache mit dem See auszureden.«
    »Stimmt nicht – das machst du gerade selbst. Meinst du wirklich, jemand, der zum Selbstmord fest entschlossen wäre, würde sich trotzdem noch durch eine derart armselige Farce schleppen? Du selbst beschreibst es als Limbus, aber ich will dir mal was sagen: Worin du dich hier verheddert hast, ist nichts anderes als das Erwachsensein – der grauenvollste Limbus von allen. Du hast dich darin verheddert, weil die Kette der elterlichen Vorbilder unterbrochen wurde. Aber eins ist klar: Jede Vorstellungswelt eines erwachsenen Menschen ist ein Schwebezustand wie deiner. Ob Kapitalismus oder Kommunismus – alles Ideen ohne jedes Gewicht. Und trotzdem musst du dich für einen Limbus entscheiden und daran mitarbeiten, ihn zu verbessern, oder eben eine noch bessere Idee entwickeln. Das ist ein Schock, und alles, was vor diesem Schock lag, war der süße Abschnitt des Lebens, die Kindheit. Doch irgendwann ist es an der Zeit, die Seite zu wechseln. Und falls du es noch nicht bemerkt haben solltest: Genau deshalb bist du heute hier.«
    »Was? Aber ich ertrinke doch, ich sterbe. Willst du etwa sagen, dass …?«
    »Ganz genau. Du stehst am schmerzvollen Endpunkt eines Rituals, das sich in jedem Zeitalter ereignet hat, dem sich noch niemand entziehen konnte und das eine Entscheidung von dir fordert, die nicht rückgängig zu machen ist. Nämlich: Willst du als Kind sterben – oder als Erwachsener?«
    »Ähm – und was bin ich, wenn ich hier bleibe und ertrinke?«
    »Kind.«
    »Und um ein Erwachsener zu sein, müsste ich …?«
    »Rausgehen, dein verdammtes Leben leben und deine Chancen wahrnehmen.«
    »Aber der Grund, warum ich hier bin, ist doch hauptsächlich das ganze Unheil, das ich auf dem Weg hierher verursacht habe. Meine Zukunft liegt in Trümmern, ich kann nicht einfach zurückkehren.«
    »Und ob du das kannst. Lass deine Kindheit im See, um nichts anderes geht es im Augenblick. Und dann steh auf, frisch und stark.«
    »Aber ich bin erschöpft, woher soll ich denn die Energie nehmen?«
    »Ungenutzte Kräfte! Die noch keine Form gefunden haben. Jetzt mach nicht so ein Drama! Geh und finde eine Form für sie! Was hast du schon zu verlieren? Wenn du das Gefühl hast, deine Spezies hat einen Feind, dann trommle Mitstreiter zusammen und stürz dich auf ihn!«
    »Ungenutzte Kräfte?« Ich fühle ein heißes Prickeln in meiner Brust, einen Funken, der zur Flamme wird und binnen Kurzem, genährt von einer Bö aus dem See, zu einer Feuersbrunst. »Ungenutzte Kräfte!« Ich schreie: »Ungenutzte Kräfte!« Ich brülle es wieder und wieder, bis ich die andere Stimme in verändertem Tonfall sprechen höre, lauter jetzt, und ich merke, wie sich die Taubheit in mir verändert, als würden Gewichte von meinen Gliedern abfallen.
    »Wir sollten uns ein bisschen um ihn kümmern«, sagt die Stimme. »Er hat es im Moment nicht so einfach und keine echten Freunde. Er sollte mal wieder einen trinken – aber auch nicht zu viel.«
    Dann kommt eine andere Stimme: »Ich hab gewonnen, du schuldest mir einen Kognak.«
    »Einen Kognak?« Ich versuche, die Augen aufzukriegen. »Einen Kognak?«
    »Pscht«, macht die Stimme. »Ich rede mit Specht.«
    »Einen Kognak?«, sagt Gerd. »War’s nicht nur ein Bier?«
    »Keine Ausflüchte jetzt«, sagt Gottfried. »Ich habe mit dir um einen Kognak gewettet, dass so ein Engländer wie er nicht den nächsten, sondern den übernächsten See nimmt.«

WONDERLAND

LICHT AUS
    Die Enthusiasmen haben gesprochen. Wie das erste Grollen eines Gewitters schiebt sich der Bug des Banketts in den Tag – es ist Freitag, der 24. Oktober, und ich trete mit Gottfried aus seiner Werkstatt in einen fliegenden Nieselregen, wobei wir auf das Kätzchen an der Tür achtgeben.
    »Typisch Gerd.« Er bleibt stehen, um die Jacke über seiner Arbeitskleidung zuzuknöpfen. »Den ganzen Tag sitzt er im Rubens-Café und schimpft uns dann schlechte Freunde, weil wir ihn nicht finden. Wer sich betrinken will, geht doch nicht ins Rubens!« An der Ecke zum Mehringdamm trennen sich unsere Wege, und er bleibt stehen: »Danke für unsere kleine Unterhaltung. Mir war ja eigentlich schon alles klar – bis auf dieses eine Detail. Wir sehen uns dann beim Endspiel

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