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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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ganzen Menschen ausmachen, bedeutet, diesen Menschen nicht zu respektieren – und sich selbst täuschen zu lassen. Diese Ticks sind oberflächlich. Ein Mensch ist das, was er tut. Herr Pietsch muss mit seinem Gesicht kein Theater veranstalten, und das wird er auch nicht, weil es ihm nicht darum geht, dich zu verführen oder sich anders darzustellen, als er ist.«
    »Du verstehst mich komplett falsch. Ich mag euch alle sehr und bewundere euch. Du bist es doch, die mich nach den ersten Eindrücken beurteilt.«
    »Aber das sind die Eindrücke, die du bei uns gemacht hast! Wenn wir nicht davon ausgehen dürfen, dass sie stimmig sind, warum hinterlässt du sie dann? Wenn das nicht du bist, was dann? Das unterstreicht genau, was ich gesagt habe – deine Welt ist eine total verkehrte, außer deinen Gesichtszuckungen ist dir nichts geblieben. Persönlichkeit ist euer einziges Werkzeug. Du kommst aus einem Kult der äußeren Erscheinungsbilder, unter dessen Oberfläche ein Chaos herrscht, das nur noch auf Medikamente anspricht.«
    »Pff, jetzt mach aber mal halblang …«
    »Pff? Pff? Machst du dich jetzt auch noch über mich lustig?«
    »Sorry, das war unterbewusst. Ach, aber jetzt hör mir doch mal zu …«
    »Ach? Ach? «, giftet sie mich an.
    »Entschuldigung, Entschuldigung – aber jetzt mal wirklich, bitte, das sind sehr weitreichende Anschuldigungen. Ihr gebt doch auch in Deutschland Geld aus – in Geschäften wie Ikea zum Beispiel.«
    »Eine Frage von Bedarf und Notwendigkeit. Hier zum Beispiel besitzt fast niemand jemals eine Wohnung. Warum sollte man sich auch eine kaufen, wenn man als Mieter gesetzlich geschützt ist? Was hat man schon von einer Wohnung, nachdem man gestorben ist? Die Menschen um mich rum leben nicht auf Kredit, wir müssen keine Dinge anhäufen, um uns wertvoll zu fühlen. Wenn du abziehst, was wir besitzen, sind wir immer noch dieselben. Kann man das von dir auch behaupten?«
    »Aber ich besitze doch überhaupt nichts.«
    »Eben – und sieh dich doch mal an! «
    Whoosh.

23
    Ein Wind ist aufgekommen, der mir Wasser gegen die Brust wirft und mich sanft zurückdrückt. Mit weniger festem Schritt gehe ich weiter durch den Sand und lasse das Wasser drücken. Zuerst ist die Kälte noch ein Problem, dann gewöhne ich mich dran. Dann wird sie erneut zum Problem, und dann wird mein Körper taub. Bald wird auch das Zittern aufhören. Wie freundlich und mild alles ist.
    Ach, mein Freund; jeder meiner Wünsche ist in Erfüllung gegangen, und das ist dabei herausgekommen. Immerhin habe ich noch vor dem Ende erkannt, wer ich bin: Ich selbst bin der Master-Limbus. Jedes Protein von mir ist eine der nach Sättigung hungernden Kräfte des Marktes. Ich selbst bin der Master-Limbus, und hier stehe ich inmitten der Natur, Grasfäden lecken gegen mein Hemd, Tiere umkriechen meine Schuhe.
    Parasiten, Parasiten und noch mehr Parasiten.
    Denn wir sind ein- und dieselbe Kraft.
    Die herrliche, unschuldige, perfekte Natur, die das tut, was das Leben eben tut, nämlich das, was zu tun sie in der Lage ist, egal, welche Wege sie dafür einschlagen muss.
    Whoosh: Eine Welle bricht an einem Felsbrocken und läuft klatschend über Steine, um den Moment zu unterstreichen. Kein mächtiger Brecher, geladen mit tosendem Zorn, der darauf aus ist, die Küste zu bestrafen; nein, nicht mehr als ein leichtes Kräuseln des Wassers, wohlgeordnet und lammfromm. Das ist die Wahrheit meines Todes. Ein See zollt ungenutzten Kräften keine Anerkennung, da können sie in mir noch so sehr brodeln und kochen. Anna würde sagen: Es ist aber auch schwer, einem Brodeln und Kochen Anerkennung zu zollen, das noch keinen Ausdruck gefunden hat, von dem niemand weiß. Im Grunde ist aus mir nie etwas herausgekommen, dem man Anerkennung zollen müsste, obwohl ich in dem Gefühl gelebt habe, dass es da Kräfte gab, die in mir steckten. Letzten Endes ist also alles genau so, wie es sein sollte. Eine kleine, unbedeutende Sphinx, die einst ein Verräter war und jetzt bis zum Hals in einem See steht. Sanft plätschert der See, schmerzhaft langsam sind seine Strudel.
    In weiser Voraussicht habe ich Anna um einen luftdichten Gefrierbeutel gebeten, meine Notizen überleben also möglicherweise, wozu auch immer das gut sein soll. Auch sie wirbeln in Zeitlupe, eigentlich drehen sie sich einfach nur um die eigene Achse. Irgendwo steht immerhin ein Cocktail-Rezept – und eine Warnung vor Frühbuchertarifen.
    Ich gehe weiter in den See hinein, bis das letzte

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