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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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aber nur zehn Prozent den Gutschein zurückschicken – und genau das kannst du auf die Produktion übertragen. Wenn du die Produktqualität halbierst, tauschen trotzdem weniger als die Hälfte das Produkt wieder um. Und genau diese Marge ist dein Markt.«
    »Ach so, du meinst, wenn man davon ausgeht, dass die Umtauschkosten gleich hoch sind wie die Rückkaufkosten, so wie bei geringwertigen FMCGs? Aber dann bist du vor allem damit beschäftigt, die Rückgabe zu erschweren. Das meinst du doch, oder? Den Markt mit den hohen Retourhürden?«
    »In etwa – aber einen Schritt weiter. Wir wissen jetzt, dass es messbare Akzeptanzfaktoren gibt. Nimm zum Beispiel Schuhe: Wer erinnert sich noch an Schuhe, die nach zehn Wochen noch nicht undicht sind? Oder an ein Handy, dem nie der Saft ausgeht? Der Markt hat mittlerweile akzeptiert, dass es genau so ist, die Retouren gehen immer weiter zurück. Wir kalkulieren die Annahmequote auf der Grundlage der retournierten Einheiten und rechnen sie dann auf die Zukunft hoch. Heute kann man das Drei-Generationen-Modell auf jeden Markt übertragen – Kostenminimierung, Annahmequote, Preisanstieg. In sieben Jahren könnten wir leere Verpackungen verkaufen.«
    »Schätze, dich hat’s trotzdem erwischt, sonst wärst du nicht hier.«
    »Aber nicht, weil das Modell nicht gegriffen hat – es gab ein Problem mit dem Firmenkapital. Was aber frühestens im nächsten Quartal ans Licht kommen wird – da bin ich längst am neunzehnten Loch.«
    Ich höre ihnen zu, und etwas in mir beginnt zu kribbeln. Es ist diese völlige Isolierung von der Welt, die sie umgibt, ihr Jargon, der bar ist jeder menschlichen Note, das Dröhnen der Stimmen, mit denen sie garantiertes Unheil aushecken.
    Sie sind die Mächte der Finsternis selbst.
    Als wir um die letzte Ecke biegen, durchschießt mich Erregung. Als wir dem Salon näher kommen, erfüllt die flirrende Spannung eines Close-Harmony-Ensembles die Luft, ein Refrain steigt auf wie aus der Geschichte selbst. Die Melodie ist erhaben, ziemlich modern und irgendwie bekannt – nach ein, zwei Takten erkenne ich Night and Day , auf Deutsch gesungen von den Comedian Harmonists. Stellen Sie sich diese zunehmend unwirklich werdende Szene vor: eine Rotte maskierter Männer in Abendgarderobe, die von einer Sphinx in einem Cape durch einen musikerfüllten Tunnel geführt wird. Die Tür öffnet sich zu einem mit Musselin ausgekleideten Gemach, das überquillt mit exquisiten Stoffen. Hier sitzt der Buchhalter, und die Gäste entrichten ihre Gebühr in Form von Diamanten. Bei jedem Klirren, das ein Stein auf einem Tablett verursacht, reicht der Buchhalter einem herrlichen grünen Vogel, der in einem Käfig aus Gold und Juwelen hängt, ein Stück Obst.
    »Geben Sie dem Vogel zu fressen«, skandiert er, »füttern Sie das dekadente Flügelgetier.«
    Nachdem alle bezahlt haben, folge ich den Gästen durch einen Vorhang ins nächste Gemach. Dort stehen zwei befrackte Diener, zwischen ihnen ein mannshohes Karussell mit sieben keilförmigen Kabinetten. Darin beugen sich sieben nackte Menschen kopfüber, Rumpf und Gliedmaßen sind nicht zu sehen, nur die Geschlechtsteile werden durch gepolsterte Löcher gestreckt, ein rauschendes Fest der Vulven und Lenden, jede so unterschiedlich wie ein Gesicht, jede mit ihrem eigenen Charakter und Charme. Der Kreisel der Wollust passt zu Didiers These, dass im Verlauf eines Mahles die Hormone zu einem lüsternen Siedepunkt hochköcheln sollten. Fleischige Blütenblätter, gekräuselte Lippen, scheue Spalten und zwei biegsame Schwänze mit ihren Hoden laden zur Verköstigung ein, dazwischen sind auf Tabletts Austern, Früchte, Schnecken, Kokain, Käse, roher Schinken und Trüffeln arrangiert und beschwören Intimgerüche von zitternder Seltenheit herauf. Von der Krone des Karussells können sich die Gäste zwischen jedem Gang ein mit Kindertränen gefülltes Kristallglas nehmen, um sich zu reinigen. Mir fällt auf, dass die Männer im Angesicht dieses speziellen Degustationsapparates ihren individuellen Charakter nicht verbergen können – einige probieren beiläufig, andere stürzen sich schlürfend hinein, wieder andere begnügen sich damit, die Dünste zu inhalieren.
    Dann werden sie von den Dienern ins Wunderland geführt.
    Die Gewölbehalle ist mehr als üppig ausgestattet mit Teppichen, Kissen, Pflanzen und Spielzeug, unter überwältigenden Kronleuchtern steht eine lange Tafel. Mein Blick zoomt sich durch die Bögen zu den gemalten

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