Das Buch Gabriel: Roman
jeder Gast das ihm zugewiesene Mädchen ausfindig und hält die Karte hoch, um seinen Anspruch geltend zu machen.
Als die Suppenteller abgetragen werden – einige kaum angerührt, die Brüstchen und Schlegel unversehrt –, treten der Buchhalter und ich zur Seite, um Kellnern mit einem glockenförmigen Ofen voller perfekter Soufflés Platz zu machen. Ein korpulenter Gast verlangt nach einem Jungen, und kurz darauf streift hinter uns ein Jüngling seinen Bademantel ab und geht durch den Vorhang, strahlend weiß wie eine Birke. Seine Nase ist klein, seine hellen Augen stehen weit auseinander, die Lippen in seinem ausdruckslosen Gesicht sind breit und voll. Er strahlt eine zwielichtige, dunkle Schönheit aus, seinem Gang wohnt eine kreiselnde Eleganz inne, die ihn als Geschöpf ausweist, dessen Jungenhaftigkeit über den Scheitelpunkt der klaren geschlechtlichen Zugehörigkeit hinweggesegelt und jenseits von Weiblichkeit und Männlichkeit gelandet ist. Zusätzlich scheint in der Art, wie er den Blick abwendet, wie er sein anzüglich verträumtes Lächeln lächelt, ein Vorgeschmack seiner selbst zu liegen, was auch dem Gast nicht entgeht, der ihn sofort gierig in den Mund nimmt.
Es folgen stämmige Zwerge, die eine winzige Sänfte mit Pagodendach tragen, deren Traufe lebende Singvögel bevölkern. Auf einem Samtkissen ruht die kleinste, zarteste und ätherischste orientalische Frau, die die Welt jemals gesehen haben kann. Sie liegt nackt auf der Seite, das eine Bein steht angewinkelt, um sie herum sind für den Genuss von Opium und vorzüglichen Zigarren notwendige Utensilien angeordnet. Als sie am Tisch entlanggetragen wird, strecken sich Finger aus, um ihre Haut zu berühren oder zwischen ihre perfekten roten Lippen zu fahren, gerade so tief, um gewärmt und befeuchtet zu werden. Der hintere Teil des Raumes ist mittlerweile in Nebel getaucht, man kann die sich dort bewegenden Gestalten nicht mehr in allen Einzelheiten erkennen, doch ich sehe, wie Männer mit der Zunge befriedigt werden, wie anderen Honig von Fingern in den Mund tropft, wie Lilien und Jasmin unter Nasen gehalten werden und junge Finger in ihre eigenen Körper tauchen. Rauch wallt auf zur längst schon rauchverhangenen Decke, was den Ort nur noch magischer macht, die einzelnen Gewölbebögen auseinanderzuschieben scheint, den Kontrast von Licht und Schatten und die Farben dämpft, bis die Szenerie von einem Jahrhunderte zurückliegenden Bacchanal nicht mehr zu unterscheiden ist.
Ich beobachte die Wesensarten der Männer: Nachdem sie auf vielerlei Art gefüttert wurden, befummeln einige ihre Mädchen, flüstern ihnen Anreize ins Ohr, um sie besitzen zu dürfen, während andere über sie verfügen wie über Huren. Der Älteste erleidet am Tisch einen keuchenden Orgasmus und ruft nach Kokain. Nach dem Soufflé verbrüdern sie sich in weinseliger Stimmung, tauschen kichernd ihre Mädchen und verfallen unausweichlich dem Orgiastischen.
Der nächste Gang kommt zusammen mit jüngeren, dunkelhäutigeren Mädchen und Tabletts, auf denen Gläser mit einer seltsamen Flüssigkeit stehen. Zugleich hat der Baske seinen ersten Auftritt, ummantelt von einem glänzenden Frack und mit einer Katzen-Halbmaske vor dem Gesicht. Als Beifallsrufe ertönen, macht er eine tiefe Verbeugung.
In diesem Moment betritt ein weiterer Mann ohne großes Trara und dekadente Bekleidung den Saal. Er trägt einen bequemen schwarzen Anzug, sein Hemdkragen steht offen; mit großer Selbstverständlichkeit geht er zum Brunnen, nimmt sich einen Kelch und schöpft ihn voller Wein. Nach einer Kostprobe trinkt er genussvoll und füllt den Kelch an der Fontäne nach. Irgendetwas unterscheidet ihn von den Gästen, er ist keiner von ihnen – und doch genießt er das Geschehen. Ich mustere ihn: rotblond, kurz gehaltener Bart, vielleicht an die sechzig; er ist ein Mann der Beobachtung, eine neutrale Figur, aber einer, dessen Neutralität irgendetwas in sich birgt, dessen Blick Legitimation einfordert.
Gebannt stehe ich hinter dem Vorrang.
Hier sind sie – die Mächte der Finsternis.
Ein Fremder neben dem Marius-Brunnen.
Und eine Sphinx auf der Lauer.
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Hals der Oliv-Bastardschildkröte in Parmesan-Brioche-Kruste
mit Sellerie-Remoulade
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Für die Schildkrötenhälse
7 Hälse der Oliv-Bastardschildkröte
eine halbe Brioche (vom Vortag, Rinde entfernt, in Streifen geschnitten)
160 g geriebener Parmesan
Für die Remoulade
2 Eier
1/2 TL Salz
1/4 TL Pfeffer
50 ml Essig
3/4 TL
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