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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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Frühstück in einem extra Raucherfrühstücksraum rauchen kann.
    Das ist Zivilisiertheit.
    Nur vom Pego haben sie noch nie gehört.
    Als es auch im Telefonbuch nicht steht – zumindest nicht unter Pego –, kriecht kribbelnd die Angst in mir hoch, gefolgt von einer kleineren Offenbarung, die gute wie schlechte Neuigkeiten mit sich bringt. Ich stehe an der Rezeption und lasse mich von ihr durchdringen, während ein anderer Einheimischer hereingestürmt kommt, der ebenfalls noch nie von dem Club gehört hat. Das Gute ist: Wir sind hier in Berlin – je toller der Club, desto weniger ist er auf Werbung bedacht. Tatsächlich sagt der Einheimische genau in dem Moment, als mir das einfällt, dass es immer noch Clubs gibt, zu denen nur Inhaber von in den Neunzigern ausgegebenen Marken Eintritt haben. Die schlechte Nachricht, die den Nukleus der Offenbarung bildet, hat allerdings mit derselben Tatsache zu tun: Die besten Dinge werben nicht für sich, die außergewöhnlichen Orte suchen nicht nach neuen Mitgliedern. Und Taxifahrer wollen mein Geld nicht zum Fenster hinauswerfen.
    Ostberlin ist kein Anhänger des Master-Limbus.
    Ich bin auf mich allein gestellt.
    Ein stechender Realitätsschmerz greift nach mir. In der Clubszene Ostberlins kann Riesending bedeuten: trostlos. Der beste Club kann der unscheinbarste sein, mit winzigem Keller und winziger Getränkeauswahl. Hier ist eine gegenläufige Ethik am Werk. Specht könnte Purist sein. Und auch wenn ich das für den Zenith des Fortschritts halte – Smuts ist damit nicht geholfen.
    Ich habe noch etwas mehr als eine Stunde, um ihn anzurufen, und jetzt kündigt sich eine Master-Offenbarung an. Diesen Tagen in der Schwebe wächst so langsam ein Format zu, eine Symmetrie, wie Smuts sagen würde, und zwar folgende, sehen Sie her: Die Auswirkungen meines dekadenten Limbus verlangen nach einer durch und durch dekadenten Lösung. Einer kapitalistischen Lösung. Hier helfen weder Schmuddeligkeit noch Purismus; was wir brauchen, ist eine ungeheuerliche Unternehmung in Sachen Gastlichkeit, wir brauchen einen Kapitalisten, der in null Komma nichts ein Restaurant eröffnet. Wir brauchen die nackten Mechanismen des Marktes. In Tokio haben sie mir geholfen, sonst wäre ich nicht hier – aber jetzt brauche ich mehr, sehr viel mehr.
    Sehen Sie die Symmetrie?
    Ach ja, der Markt. Den Club zu finden ist plötzlich einschüchternder als ihn nicht zu finden. Was, wenn er eine puristische Kaschemme ist? Ich stelle meinen Beutel im Zimmer ab und gehe hinaus auf die Kastanienallee, in der Hand eine Flasche Marius für Specht, den Puristen oder den Mogul. In der schneidenden Kühle der Nachtluft beruhigen sich meine Nerven ein bisschen. Ob Mogul oder nicht, nach zwanzig Jahren im Geschäft sollte der Mann zumindest gut vernetzt sein. Wir brauchen ja nichts weiter als einen guten Hinweis. Solcherart Überlegungen bringen mich wieder ins Gleichgewicht, während ich einer Tram ausweiche und die Straße überquere. Plötzlich löst es gemischte Gefühle in mir aus, als ich mich umsehe und keinen Starbucks oder McDonald’s entdecken kann. Wir brauchen keine Maus Frederick, wir brauchen keine Taxis, die unser Budget im Blick haben. Was wir brauchen, ist zügelloser Konsum, Exzess.
    Wir brauchen den Master-Limbus des zeitgenössischen Kapitalismus.
    Die auf der Kastanienallee Flanierenden sind eine Mischung aus abendlichen Fußgängern und Nachtschwärmern, und ich untersuche sie auf Überbleibsel des alten Ostens – eine zu eng getragene Plastikjacke, eine zu kurze Hose –, und obwohl es Zeichen von Ost-Chic gibt, sirrt die Luft doch hauptsächlich von Designprojekten auf Zeichenblöcken. Projekte, die gut zu dem heutigen Soundtrack des Prenzlauer Bergs passen: Gulag-Orkestar, Gnossiennes und Gymnopédies in wehmütiger Endlosschleife – all die melancholischen Schlaflieder, die der neuen Bio-Bougeoisie dabei helfen, ihre Kinderwagen inmitten von Trümmern und Gänseblümchen zu imaginieren.
    In gewissem Sinne bin ich in diesem neuen, aufgemöbelten Osten sehr allein. Auf keinen der beiden aktiven Extrempole der Menschheit kann ich hier zurückgreifen, weder auf die Gossenlinke noch auf meine neue Verbündete, die teuflische Rechte. Der Osten scheint heute ein vernünftiges Zentrum zu sein, ohne Revolution und ohne etwas, wogegen es sich zu revoltieren lohnte – kaum ein Bettenlager, Hypothekenmakler oder Hyundai-Händler in Sicht. Eine Art stillvergnügtes Joghurt-Land, das zu sehen mich

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