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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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Art, der auch Süßigkeiten, Zigaretten und Getränke verkauft, für den Stadtteil so etwas sein muss wie eine Pförtnerloge. Neuigkeiten sammeln sich hier bestimmt wie Müll.
    Aber der Mann darin weiß von nichts.
    Nun denn. Bei jedem Unterfangen kann der Moment kommen, in dem die Welt, die man sich erschaffen hat, die faktische Verankerung in der Wirklichkeit verliert – das ist beim Glauben an Gott nicht anders. Die Erkenntnis ereilt mich in genau dem Augenblick, als meine zwei Stunden rum sind. In Tokio ist jetzt früher Morgen, Smuts wartet. Der Imbissbetreiber verkauft mir eine Telefonkarte. Als er sie mir über den Tresen reicht, scheint er mitfühlend zu nicken, vielleicht spürt er, dass diese Karte niemanden zum Lachen bringen wird. Und merkwürdigerweise habe ich nicht das Gefühl, dass ich vor dem Anruf eine Line ziehen sollte. Unklare Nachrichten sollten vielleicht nicht allzu zackig überbracht werden. Tatsächlich habe ich seit der Landung kein Bedürfnis mehr nach besinnungslosem Vergessen gehabt. Obwohl mich hier mein Limbus nicht gerade schützend umhüllt.
    Obwohl ich den kalten Stahl der Wirklichkeit auf meiner Haut spüre.
    Ein paar Meter weiter finde ich eine Telefonzelle und wähle die Nummer der Polizeiwache in Tokio, wobei ich beschließe, sicherheitshalber von jetzt an mehr zu trinken. Der diensthabende Wachtmeister nimmt ab, und nach einigen Grunzlauten kommt Smuts’ Stimme wie ein Echo aus längst vergangenen Tagen aus der Leitung:
    »Putain?«
    »Smuts – ich hab’s geschafft. Alles in Ordnung bei dir?«
    »Schieb einfach nur die Eckdaten rüber – Name der Lokalität, Zahl der Gedecke etc. Hier drüben wird die Sache immer heißer.«
    »Wieso, was ist los?«
    »Die Kumpel von dem Alten behaupten, er habe keine Innereien bestellt. Sie sagen, dass er viel zu betrunken war, um überhaupt was zu bestellen. Yoshida hat sich bis jetzt noch nicht geäußert, das Labor untersucht immer noch die Fischproben. Ich habe dem Anwalt gesagt, dass du dabei warst, als der Typ bestellt hat, aber er meint, weil du kein Japanisch sprichst, zählst du nicht. Ich hab nicht die Spur einer Ahnung, was als nächstes passiert. Alles offen. Aber irgendwie sieht’s scheiße aus für mich. Ich halte einfach den Ball flach und denke mir Menüs für Berlin aus. Wir haben es geschafft, dem Basken eine Botschaft zu übermitteln. Er ruft morgen an.«
    »Wann genau?«
    »Komm endlich zur Sache! Putain! Was soll die Scheiße!«
    »Also, Smuts – ich hab’s noch nicht geschafft, den Mann zu treffen.«
    »Was? Sag so was nicht. Sag mir doch jetzt so was nicht.«
    »Die Sache ist …«
    »Ich flehe dich an, verfluchte Scheiße.«
    »Smuts, ich bin dran – aber es ist Montagabend, und ich komme gerade vom Flieger.«
    »Du musst die Sache wasserdicht machen. Und damit meine ich wasserdicht . Der Anwalt meint, alles hängt an einem beruflichen Wohnsitz in Europa. Für einen hospitierenden Fachmann sieht alles anders aus als für eine vagabundierende Küchenhilfe. Ich habe ihm von Berlin erzählt. Und er sieht es genauso: Wenn wir den Basken an Bord kriegen, sind wir aus dem Schneider – der Baske hat den Fisch geliefert, es sollte also in seinem Interesse sein, mich da rauszuholen. Aber in beiderlei Hinsicht brauchen wir morgen einen Ort. Und zwar, Putainel …«
    »Hm?«
    »Einen verdammt geilen Ort.«

12
    Der Morgen ist unwillkommen. Meine Bettdecke finde ich zu einem Haufen geknüllt auf dem Boden.
    Als ich nach draußen komme, wehen gelbe Blätter die Straße hinauf. Mir dämmert langsam, dass das Pego tot ist. Dass Gerd Specht sich schon lange aus der Szene verabschiedet hat. Die Wirklichkeit offenbart sich, wie sie es am liebsten tut: als Windstoß. Natürlich gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der Club noch irgendwo existiert – das liegt in der Natur Berlins. Ich weiß, dass es neben den Überresten des Ostens auch Viertel gibt, die so bezaubernd sind wie Paris, trostlose Brachen wie in Sibirien, üppige Shopping-Meilen wie in New York. Man hat den Eindruck, dass die Berliner in vielen Städten wohnen, in einer Ansammlung sozialer und architektonischer Stadtteile, die jeder für sich genommen ganze Welten und Geschichten bergen und alle zusammen von zwei vollständigen Infrastrukturen überlagert werden, von Krankenhäusern, Universitäten, Bahnhöfen und Flughäfen, die einst für das geteilte Berlin des Ostens und des Westens zur Verfügung standen.
    Ein Club könnte hier umziehen und dabei

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