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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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das Dauerschwirren aus Frustration und Angst weg ist. Vielleicht, weil kein einziger Laden, den ich bislang betreten habe, mit dem Ziel gegründet wurde, im zweiten Jahr auf fünfzig Filialen zu expandieren. Kein Angestellter war darauf geeicht, mich zu größeren Ausgaben zu manipulieren, als ich tätigen wollte. Keine Kameras behandeln mich so, als hätte ich vor, mich ohne zu bezahlen davonzumachen. Keine Schilder warnen davor, dass man mich gleich derart beleidigen wird, dass ich mich quasi verpflichtet fühlen werde, zu Drohungen, Tätlichkeiten oder Beschimpfungen Zuflucht zu nehmen. Keine Zeit- oder Raumeinheit ist von einer Philosophie in Beschlag genommen, die den vernachlässigbar kleinen Teil der Menschheit, der auf eine Finte mit Schwäche oder Fehlleistung reagiert, für eine wertvolle Zielgruppe hält. Bakterien in Anzügen, die nichts anderes interessiert als ihr Geschäft und der Verfall der Menschheit, scheinen hier weitestgehend abwesend zu sein.
    Ich bin kein Element einer Verkaufskurve.
    Ich werde nicht von vornherein zum Dieb oder Deppen gestempelt.
    Und ein Kaffee ist kein Lifestyle-Statement.
    Ein Kaffee ist ein Kaffee.
    Vor der winzigen Bar sitzend drei rauchende Gestalten. Wie eine Mücke, die zum Licht gezogen wird, sehen sie mich näher kommen. Ein Lateinamerikaner steht lächelnd auf, um mich zu begrüßen.
    »Nein, aber das war doch ein richtig großes Haus«, geht sein Gespräch mit zwei ergrauten Männern weiter. »Eine der ganz großen Banken.« Die beiden Männer sind von hier, ungefähr im Alter meines Vaters, allerdings noch drahtig und kräftig. Sie tragen schlichte Klamotten, die weder bunt sind noch unbunt und nichts über sie aussagen. Der Wirt bringt drei peruanische Pisco aufs Haus. Bevor er wieder reingeht, um sauber zu machen, und mich bei den beiden sandgestrahlten Gesichtern sitzen lässt, bestelle ich ein Bier. Wir sitzen rauchend beisammen und sehen den Schattenspielen zwischen den Bäumen zu.
    »Ist das hier noch Prenzlauer Berg?«, frage ich schließlich.
    »Nein, Mitte«, sagt der Zerfurchte. »Hängt aber davon ab, wie man’s sieht – wenn man vom Prenzlauer Berg zu Mauerzeiten spricht, dann gehört das hier noch dazu.« Er hebt sein Bier und zeigt auf die andere Seite des Parks: »Ein paar Blocks weiter runter ist die Mauer. Die Häuser am Rand waren nur für Stasi-Agenten und andere vertrauenswürdige Staatsbeamte. Sie konnten den Westen aus ihren Wohnungen sehen.«
    »Aber wenn du den alten Prenzlauer Berg suchst«, sagt der Genosse, »bist du ein paar Jährchen zu spät. Du hättest in den Neunzigern hier sein sollen. Bist du Amerikaner? Dein Deutsch ist ziemlich gut.«
    Ach, mein heimlicher Miguel. Wahrscheinlich ist eine ausländische Sphinx in einem Armeemantel hier mittlerweile so ungewöhnlich wie ein Würstchen – einfach nur der nächste Wochenend-Raver mit vierzig Euro in der Tasche und zwei neuen Freunden, die beide Andreas heißen.
    »Ich bin aus England«, sage ich, »und ich war in den Neunzigern schon hier.« Außerdem frage ich mich, wie schnell in den Nullerjahren die Berliner angefangen haben, das mit den Neunzigern zu sagen, und ob sie es vorher auch schon so gesagt haben, nur eben mit den Achtzigern.
    »Echt?«, meint der Genosse. »Aber dann als Baby.«
    »Mein Vater hat in den Neunzigern hier einen Club aufgemacht. Ich glaube, auf der Brunnenstraße.«
    »Ach, echt? Die Kim Bar?«
    »Nein.« Der Zerfurchte schlägt ihm mit offener Hand auf den Ärmelaufschlag. Er kaut einen Augenblick auf der Innenseite seiner Backe, rollt nachdenklich seine Augen nach oben – und schüttelt schlussendlich den Kopf. »Die Kim Bar hat erst nach den Neunzigern eröffnet. Wenn du die Neunziger meinst, zumindest an diesem Ende der Brunnenstraße – dann muss das der Pego Club gewesen sein.«
    Sein Ostakzent kommt bei mir nur bruchstückhaft an und setzt sich erst nach kurzer Verzögerung zu einem Sinn zusammen.
    Dann sacke ich schwankend in meinen Stuhl.
    Die Männer erschrecken; sie glauben, die Sprache hat mich verwirrt. Kurz darauf winkt der Sprecher entschuldigend ab und wiederholt auf Englisch:
    »Das muss dann der Pego Club gewesen sein.«

13
    Der alternierende Sirenenton eines Notarztwagens weht in der Entfernung umher, ein Geräusch in Schwarz und Weiß, wie ein Krankenwagen aus einer Wochenschau, der durch längst nicht mehr vorhandene Straßen hallt.
    Für mich beschreibt sein galliges Plärren den Übergang von Verzagtheit zu Hoffnung. Ich warte

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