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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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Karten spielen.
    Das Elternteil in diesem Szenario wäre Breton’scher Prägung, klar.
    Für mich vergeht die kurze Nacht wie ein Juckreiz, bis ich dazu gezwungen bin, meinen Nimbus mit ein paar Mittelchen wieder knackig frisch zu kriegen. Während es draußen noch dunkel ist, verleibe ich mir ein Großes Dichterfrühstück ein: sieben Zigaretten, drei Lines und eine halbe Flasche Marius. Ein bedeutender Tag steht bevor, also schamponiere ich meinen in Fett erstarrten Mopp und lasse den Duschstrahl auf meine Wirbelsäule einprügeln. Ich föhne mir die Haare und betupfe mich mit Jicky. Dann betupfe ich mich erneut, um die Aura zu einem Netz zu weiten, in dessen unbarmherzigen Maschen sich der Erz-Verschwender Specht heillos verfangen wird.
    Während die Vögel zu ihrer stumpfen Tagesordnung übergehen, packe ich eine Flasche Symphony in meinen Segeltuchsack und mache mich auf den Weg zu dem mystischen Flughafen, während ich mir einen dabei abbreche, das Bild von Smuts, der an seinem Gürtel von der Decke baumelt, aus dem Kopf zu kriegen. Es gelingt mir nicht. Auch andere Gedanken beunruhigen mich, ganze Gedankenschwärme sogar, und als sich die Bahn Tempelhof nähert, zwingt mich die Angst, dass sich die U-Bahn-Türen direkt in Spechts Büro öffnen könnten, eine Station zu früh auszusteigen. 26
    Ich stolpere an die Erdoberfläche und finde mich in Kreuzberg wieder, am Fuß einer langen ansteigenden Straße. Es scheint ein Teil der Stadt zu sein, der auf dem Teppich geblieben ist, ein arbeitsamer Teil, auch er mit seinen Sehenswürdigkeiten, Kuriositäten und Kneipen, aber auch mit älteren Leuten, mehr Türken und weniger Babys. Die Renovierung seiner Prachtbauten ist schon etwas länger her als im Prenzlauer Berg, die Geschäfte sind weniger beherrscht von Konzepten und Trends und tendieren eher zum täglichen Bedarf.
    Während ich an der Kreuzung zweier breiter Straßen, der Yorckstraße und dem Mehringdamm, eine Zigarette zu Ende rauche, stellen die Enthusiasmen mich vor eine Wahl. In Sichtweite befinden sich sowohl ein Burger King als auch ein Second-Hand-Shop. Beide haben so ihre Implikationen.
    Aber so arbeiten die Enthusiasmen eben.
    Burger King als Konsulat des Master-Limbus würde mich für den anstehenden wichtigen Tag stärken, und zwar zu einem Festpreis und wahrscheinlich ohne Trauben und Blumen – es sei denn, sie machen hier Prenzlauer Burger. Aber nach einem Augenblick der Abwägung habe ich das Gefühl, dass der Klamottenladen die richtige Wahl ist, und als ich vor dem Schaufenster stehe, schält sich der Grund dafür aus folgender Frage heraus: Welches dieser Kleidungsstücke würde Specht tragen? Was für eine Art Décadent ist er? Ein geschwätziger Peter Pan? Ein vergrübelter Doktor No? Ich betrete den Laden, die größte Kleiderkammer, die ich je gesehen habe, und sehe Ständer für Ständer alte Klamotten durch, unter anderem Uniformen, Karnevalskostüme, Leder und Latex. Denn egal wie Specht drauf ist – ein Mogul lässt sich ziemlich sicher nicht von einem Ex-Drückeberger in einem Armeemantel beeindrucken. Die Angelegenheit ist ernst, und es passiert etwas Interessantes, das mich unter dem Bann einer Erkenntnis erstarren lässt: Indem ich mich frage, was ich anziehen soll, stelle ich mir eigentlich die Frage, wer ich bin. Wer ist diese Sphinx, die da in ihrem Limbus, ihrer Zwischenwelt festhängt? Welche Geschäftskleidung trägt ein Phantom? Denn inmitten dieser ganzen Wäsche hier ist das, was ich anhabe, plötzlich falsch. Eine Krise. Meine Kleider gehören zu einer Person, die ich nicht mehr bin. Zu einer Zeit und zu einem Ort, an dem ich längst nicht mehr herumspuke.
    Wie Wellen überrollen mich die Offenbarungen, eine nach der anderen, doch die nächste stößt meine Gedanken wieder in ihr Zentrum zurück: Ich kann lange darüber nachdenken, wer ich vielleicht bin, und muss die notwendigen Risiken, derjenige zu sein, dann auch auf mich nehmen, sollte mich jetzt aber trotzdem darauf konzentrieren, Specht zu gefallen. Wenn er so alt ist wie mein Vater, zum Beispiel, und die beiden gut genug befreundet waren, um gemeinsam einen Club zu eröffnen, muss auch er ein Bartträger mit schlechtem Geschmack sein. Andererseits aber kommt Dekadenz von Überfülle. Und ein Club in der Größenordnung des weltgrößten Gebäudes, oder meinetwegen des zweit- oder drittgrößten, klingt nach Extravaganz und Eigenliebe, nach Scharfsinn und Risikofreude.
    Meine Urteilskraft wird einer Prüfung

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