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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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unterzogen. Mit missmutigem Gesicht stehe ich zwischen den Kleiderständern, bis ich nur noch einen Ausweg sehe, nämlich einen einfachen Ausschlussprozess:
    Zuerst und am einfachsten für untauglich zu erklären – Clubwear. Ganz einfach deswegen, weil ein Clubbetreiber kein Clubber ist, so wie ein guter Drogendealer niemals Junkie ist. Möglicherweise verachtet er seine Gäste sogar. Danach ziehe ich in Erwägung, Spechts ostdeutschen Wurzeln eine Reverenz zu erweisen, mit langweiliger und schlecht sitzender Kleidung. Völlig falsch, legt doch sein Aufstieg zum Magnaten nahe, dass er auf seine Wurzeln nicht allzu stolz ist, sie vielleicht sogar verachtet. Stinknormale Businessklamotten – nein, die tragen schon seine Lieferanten, die er ebenso leicht verachten könnte. Schwarze Mogul-Kleider – möglich, allerdings wird Specht, wäre er ein solcher Mann, entweder ein gehöriges Ego haben oder sein mangelndes Selbstbewusstsein irgendwie kompensieren, was dazu führen könnte, dass er Doppelgänger verachtet. Gangsterklamotten sind eine Erwägung wert, obwohl ich nicht vergessen darf, dass ich ein zurückkehrendes, ihm bekanntes Kind bin, weswegen jeder Versuch der Einschüchterung von vornherein angeschlagen wäre.
    Ich bin erschöpft.
    Bis ich alle Möglichkeiten bis auf eine eliminiert habe, ist der Vormittag weit vorangeschritten. Es bleibt ein Joker, für den ich noch nicht mal Argumente habe, geschweige denn, welche dagegen.
    Letzten Endes verlasse ich den Laden als Die Sphinx .
    Die Sphinx trägt eine bayerische Miesbacher Joppe – kurz, grau, mit Hirschhornknöpfen – über einem mit Edelweiß und Alpen bestickten Hemd. Ein Whoosh für Specht. Ein gewagter Kontrapunkt zu seiner Laserlichtwelt, ein volkstümlicher Kommentar, eine Geste, eine Ironie, die hart am Wind segelt, dabei aber nicht ins Absurde abgleitet – meiner Meinung nach wäre die Grenze zum Absurden in diesem Fall eine Lederhose.
    Ich schaffe es, mir den traditionellen Miesbacher Hut mit seinem Federschmuck zu verkneifen, bis mir der Verkäufer erklärt, dass der Hut in Bayern das Zeichen eines freien Mannes sei. Als ein wahrhaft freier Mann muss ich den Hut natürlich kaufen, allerdings kommt er zusammen mit meinen anderen alten Kleidungsstücken in den Sack – denn meine Freiheit ist eine Freiheit im Verborgenen.
    So geht er vor, der Limbus. Seine Motoren treiben mich schwitzend und taumelnd zu einer Bar ein Stück weiter den Mehringdamm hoch, wo mir ein Bier neue Kräfte schenkt. Komischerweise ist eine Line nicht vonnöten. Hiernach führt mich mein Gang Richtung Tempelhof einen Hügel hinauf, der nicht steil ist, aber lang, und zu einer Art Anstieg zum Schloss Dracula wird. Es kommt einem wie eine Ding der Unmöglichkeit vor, dass hier mitten in der Stadt ein Flughafen sein soll, und dann noch eines der weltweit größten Bauensembles; aber als die Allee noch mal ansteigt, erhebt sich auf wenigen Metern ein ganz erstaunliches Zwischenreich, in dem die Wolken tiefer und grauer treiben, die Häuser von der Straße zurückgesetzt kauern und die Geschäfte spärlicher werden, in denen man sich um Formen menschlicher Behaglichkeit kümmert, so dass schließlich ein Cappucchino-freies Land zwischen Kreuzberg und Tempelhof vor mir liegt, in dem weder freundliche Menschen noch Kinderwagen oder Vögel anzutreffen sind.
    Fast rechne ich mit kreisenden Fledermäusen.
    Ein Stück weiter oben ist immer noch nichts von einem Baudenkmal zu sehen, und ich empfinde zunehmend Druck, Smuts anzurufen. Der Vormittag ist fast vorbei. Aller guten Vorsätze zum Trotz sickert die Idee der Vermeidung in die anstehende Anrufroutine. Was daran liegt, dass die Anrufe dem Realitätshorror zum Opfer gefallen sind. Auch das Tivolihirn ist ihm zum Opfer gefallen, und der prekäre Charakter von Smuts’ Situation zeigt an, dass ich nicht die eigentlich notwendige Kraft aufwende, um sein Hirn mit der grimmen Faktenlage in Übereinstimmung zu bringen. Ich wäre beispielsweise überglücklich, überhaupt mit irgendwelchen Neuigkeiten über einen Club anrufen zu können, während ich in Smuts’ Wahrnehmung schon spät dran bin mit einem Vertragsabschluss. Das alles ist in Teilen unseren unterschiedlichen Hintergründen zuzuschreiben – er ist ein Mann der internationalen Netzwerke, durch die er sich wie ein Affe hangelt, ein Gewirr verschlungener Gassen hinter Küchen, in denen um Genie geschachert wird. Er geht davon aus, dass mir die günstigen Gelegenheiten

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