Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch meiner Leben

Das Buch meiner Leben

Titel: Das Buch meiner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Heamon
Vom Netzwerk:
Krieg zurück, um seine paramilitärische Truppe zusammenzustellen. » Richte Hemon aus, wir kommen « , riefen die Wölfe und ließen Dragan passieren.
    Als Dragan von diesem Vorfall berichtete, den er sehr ernst nahm, hielt mein Vater es für das Beste, möglichst bald zu verschwinden und nicht auf die Killer zu warten. Am Checkpoint hatte es gerade einen Wachwechsel gegeben, die Posten waren nicht so betrunken oder rüpelhaft, sie winkten meinen Vater und Dragan einfach durch. Auch Mek bemerkten sie nicht, da mein Vater ihn auf dem Boden hielt. Die Wölfe zerstörten dann in ihrer sinnlosen Wut, oder weil sie es vielleicht auf den Honig abgesehen hatten, die Bienenstöcke meines Vaters. (Später schrieb er mir nach Chicago, dass ihn von allen Verlusten, die der Krieg brachte, der Verlust seiner Bienen am meisten schmerzte.)
    Bis zur serbischen Grenze mussten Vater und Dragan viele Checkpoints passieren. Vater befürchtete, dass die Posten beim Anblick eines schönen Irish Setter sofort wüssten, dass er aus einer Stadt kam, denn auf dem Land gab es eher räudige Köter und Wölfe als rotbraune Irish Setter. Überdies würden sie sich vermutlich furchtbar aufregen, wenn sie jemanden sahen, der mitten im Krieg, bei all den vielen Toten, einen Hund retten wollte. Bei jedem Checkpoint machte Mek Anstalten aufzustehen, doch mein Vater drückte ihn immer auf den Boden, flüsterte ihm beruhigende Worte ins Ohr. Mek legte sich dann wieder hin. Nie gab er einen Laut von sich, nie stand er auf, und wie durch ein Wunder wurde er nirgendwo bemerkt. Mein Vater und Dragan schafften es über die Grenze und erreichten schließlich Subotica.
    Derweil wurde Veba im belagerten Sarajevo zur bosnischen Armee eingezogen, die die Stadt gegen die ehemalige Jugoslawische Volksarmee verteidigte, die sich von einem Tag auf den anderen in die serbische Armee verwandelt hatte. Vebas Vater war bei Ausbruch der Kampfhandlungen in seinem Depot und wurde dort von den Bosniern verhaftet. Seine Familie hörte jahrelang nichts von ihm, niemand wusste, ob er überhaupt noch am Leben war.
    Während meine Familie in alle Himmelsrichtungen verstreut wurde, lebte Veba mit der seinen noch immer gegenüber von unserem Haus. Er teilte sich eine kleine Wohnung mit seiner Freundin, mit seiner Mutter, seinem Bruder und Don. Bald wurden Lebensmittel knapp – eine Scheibe Brot mit etwas Öl darüber war in dieser Zeit eine anständige Mahlzeit. Für die meisten Leute gab es nur Reis, Tag für Tag. Herrenlose Hunde streiften durch die Stadt, griffen manchmal Menschen an oder machten sich über frische Leichen her. Einen Hund zu haben und für ihn zu sorgen war ein beargwöhnter Luxus, aber Vebas Familie teilte mit Don, was immer sie hatte – alle waren bis auf die Knochen abgemagert. Manchmal gab es nichts zu essen, aber Don verstand die schwierige Lage irgendwie und bettelte nie. Bei Granatbeschuss schlich er durch die Wohnung und beruhigte sich erst, wenn alle Familienmitglieder im Raum waren. Dann legte er sich hin und musterte sie aufmerksam. Manchmal, um ihn abzulenken, fragte jemand: » Wo ist Mek? Wo ist Mek? « , und dann lief er zur Haustür und bellte aufgeregt, erinnerte sich an seinen Freund.
    Wenn sie mit Don Gassi gehen wollten, mussten sie auf der Seite des Hauses bleiben, wo sie vor den serbischen Scharfschützen sicher waren. Die Kinder spielten mit Don und streichelten ihn. Binnen kurzem entwickelte Don ein unheimliches Gespür für unmittelbar bevorstehenden Granatbeschuss. Er bellte dann und lief nervös im Kreis herum, sprang an Vebas Mutter hoch und gab keine Ruhe, bis alle wieder in das Haus zurückkehrten. Wenig später schlugen irgendwo in der Nähe Granaten ein.
    Vater und Mek fuhren schließlich zu meiner Mutter nach Subotica. Nachdem sie sich von ihrer Operation einigermaßen erholt hatte, zogen meine Eltern nach Novi Sad, hundert Kilometer weiter südlich, wo der andere Bruder meiner Mutter eine kleine Einzimmerwohnung hatte, in der sie unterkamen. Sie blieben ungefähr ein Jahr dort und versuchten in der Zeit, die für ein kanadisches Einwanderervisum erforderlichen Papiere zusammenzubekommen. Mein Vater war manchmal wochenlang in Ungarn, wo er in Dragans Baufirma arbeitete. Für meine Mutter waren Meks Anwesenheit und die gelegentlichen Besuche meiner Schwester der einzige Trost. Sie sehnte sich nach Sarajevo, war entsetzt über die Entwicklung in Bosnien, empört über die serbische Propaganda, die gnadenlos von Radio und

Weitere Kostenlose Bücher