Das Buch ohne Staben - Anonymus: Buch ohne Staben - The Eye of the Moon
standen. Normalerweise waren nie mehr als zwei davon bewohnt: ihr eigenes und das ihrer adoptierten Stieftochter Beth.
Ihr Ehemann Dexter war in der Hochzeitsnacht im eigenen Badezimmer erschossen worden. Die anfänglichen Ermittlungen eines örtlichen Detectives namens Archibald Somers hatten die Vermutung genährt, dass einzig Olivia Jane als Mörderin infrage kam. Kurz darauf hatte sie eine Belohnung von fünfzigtausend Dollar ausgesetzt für Informationen, die zur Identität des Killers führten, und Somers hatte von einem seiner Spitzel erfahren, dass der Mörder ein einheimischer Fischer war. Der clevere Detective hatte den Fall persönlich übernommen und den Fischer dingfest gemacht. Nachdem er aus dem Verdächtigen ein Geständnis herausgeprügelt hatte, war er gezwungen gewesen, ihn niederzuschießen, weil er sich seiner Festnahme widersetzt und einen Polizeibeamten bei der Ausübung seiner Pflicht behindert hatte. Fall geschlossen. Saubere Arbeit.
Niemand in der Stadt konnte verstehen, warum Olivia Jane ihre Stieftochter Beth adoptiert hatte. Sie schien absolut keine Zeit für das Mädchen zu haben. In den ersten Jahren hatten sich zahlreiche Kindermädchen die Klinke in die Hand gegeben, doch von der Zeit an, als Beth alt genug gewesen war, um zur Schule zu gehen, hatte sich ihre Stiefmutter allein um das Mädchen gekümmert und sie zu Hause unterrichtet. Beth hatte kaum jemals das Haus verlassen dürfen, und Olivia Jane hatte sehr darauf geachtet, dass Beth nie mit anderen Kindern in Kontakt kam. Bis kürzlich.
Erst vor zwei Monaten hatte Olivia Jane es sich offensichtlich anders überlegt und ihre Stieftochter auf einer der lokalen Schulen angemeldet und sie sogar ermuntert, den Kostümball an Halloween zu besuchen. Es war so unerwartet und so untypisch gewesen, dass Beth nicht nur völlig überrascht gewesen war, sondern auch mehr als nur ein wenig misstrauisch. Nichtsdestotrotz hatte sie eilfertig die Gelegenheit ergriffen, unter jungen Leuten ihres Alters zu sein.
Es war richtig gewesen von Beth, mit Misstrauen zu reagieren. Olivia Janes Motiv dafür, ihre Stieftochter hinaus in die Welt zu schicken, lag in einem Plan begründet, den sie fünfzehn Jahre zuvor in die Tat umzusetzen begonnen hatte. Dieser Plan stand nun kurz vor der Vollendung. Es war Partyzeit.
Olivia Janes Dinnergäste trafen im Schutz der Dunkelheit ein, und als sie die Türglocke hörte, spürte sie, wie sie von Aufregung erfasst wurde. Indem sie ein letztes Mal ihr Erscheinungsbild in dem mannshohen Spiegel neben der Haustür kontrollierte, machte sie sich bereit für den vor ihr liegenden Abend. Sie hatte mehr als eine Stunde damit verbracht, ihr dichtes blondes Haar mit Lockenwicklern in eine Frisur zu zwängen, von der sie glaubte, damit wie Marilyn Monroe auszusehen. Der Look wurde vervollständigt durch ein hautenges, halterloses rosafarbenes Kleid. Nicht schlecht für knapp über vierzig , dachte sie bei sich.
Sie öffnete die Tür und wurde begrüßt vom Anblick eines großen Mannes in einem langen weißen Gewand mit einer goldenen Widdermaske und gekrümmten Hörnern unmittelbar über den Ohren. Hinter ihm standen zwölf weitere Gäste – sechs Männer, die genauso angezogen waren wie er, und sechs Frauen in purpurnen Gewändern mit einfachen weißen Masken.
»Grüße, Mrs. Lansbury«, sagte der große Mann mit volltönender Stimme.
»So kommen Sie doch herein.« Olivia Jane lächelte und bedeutete den Besuchern mit einladender Handbewegung einzutreten.
Einer nach dem anderen kamen die dreizehn Gäste ins Haus, und ein jeder nickte Olivia Jane zu, als er sie passierte, um anschließend den sich bietenden Anblick zu bewundern. Den einen dekorativen Kniff, auf dem Olivia Jane überall im Haus bestand. Sämtliche Wände, die Decken und die Teppiche leuchteten in intensivem Rot, dem gleichen Rot wie demjenigen der Gewänder ihrer weiblichen Gäste. Ein Rundgang durch das Haus hätte zweifellos bestätigt, was für ein prachtvoller und zugleich gruseliger Anblick dies war. Doch die abendliche Agenda sah keine Führung vor, und keiner der Gäste würde um eine bitten. Sie waren viel zu begierig darauf, dass die nächtlichen Festivitäten endlich beginnen würden.
Olivia Jane führte sie bis ins Wohnzimmer, einen riesigen, beeindruckenden Raum, dessen Decke sich ganze zehn Meter über dem purpurnen Teppich befand. Er war ausstaffiert mit behaglichem rotem Mobiliar und zwei riesigen Esstischen, beladen mit den
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