Das Buch ohne Staben - Anonymus: Buch ohne Staben - The Eye of the Moon
werde – ich – eine – von – ihnen.« Sie zeigte auf die bewusstlose Gestalt von Kione, der auf der anderen Seite der Küche verkrümmt am Boden lag. Ihre Stimme wurde kräftiger. »Eine Kreatur des Bösen. Ich werde dich töten. Dich und deinen Bruder. Lass es nicht so weit kommen, JD . Ich kann schon spüren, wie mich Blutdurst überkommt. Bitte töte mich. Rasch, bevor es zu spät ist.«
JD erhob sich vom Boden und schüttelte den Kopf. »Du bist meine Mutter, Herrgott noch …«
Mit schockierender Geschwindigkeit sprang Maria ihn vom Boden her an, mit weit aufgerissenem Maul und gefährlich entblößten Fängen, auf der Suche nach dem weichen Fleisch an seinem Hals. Seine unglaublichen Reaktionen versetzten ihn in die Lage, sie abzuwehren, ohne auch nur einen bewussten Gedanken daran zu verschwenden. Mit all seiner Kraft packte er sie und schleuderte sie gegen die Schränke über dem Abwaschbecken hinter ihr. Sie knallte mit dem Kopf gegen eine der Türen und fiel zu Boden, wo sie reglos liegen blieb.
»O Gott, Mom! Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht wehtun.« Er beugte sich nieder und hob ihren Kopf vom Boden. »Ist alles in – o nein! Nein! Neiiin ! «
Die Erkenntnis, dass seine Mutter nicht mehr bei ihm war, traf ihn mit der Wucht eines Vorschlaghammers. Ihr Gesicht war kaum noch zu erkennen. Ihre Haut war blass und kalt, blaue Adern waren an die Oberfläche getreten, die Augen schwarz, die Zähne spitz und rasiermesserscharf. Ein kaltes Frösteln ging durch ihn hindurch, und er ließ den Kopf von Maria, dem Vampir, los. Erneut stieg Übelkeit in ihm auf, und er schlug die Hand vor den Mund, um sich nicht ein weiteres Mal zu übergeben – nicht dass in seinem Magen noch etwas gewesen wäre, das er hätte hochwürgen können.
Nachdem er für einige Sekunden auf den Körper der Person gestarrt hatte, die früher seine Mutter gewesen war, ging ein Ruck durch ihn. Schalt den Verstand ab , dachte er bei sich. Denk nicht nach über das, was du tun musst. Tu es einfach. Du musst es tun, und du weißt, dass es keine andere Lösung gibt.
Er bewegte sich wie in Trance, als er die Küche verließ und die Treppe zum Schlafzimmer seiner Mutter hinaufstieg. Er wusste, dass sie in einer Nachttischschublade eine Pistole aufbewahrte, für den Fall, dass einer ihrer Kunden je auf den Gedanken kam, die – zugegebenermaßen äußerst liberalen – Grenzen des Anstands zu übertreten, auf die sie bestand. Es hatte Gelegenheiten gegeben, zu denen der eine oder andere ihrer weniger regelmäßigen Kunden während des Geschlechtsverkehrs übermäßig gewalttätig geworden war oder nach einer wenig befriedigenden »Verrichtung« – natürlich nie aus eigener Schuld – sein Geld zurückverlangt hatte. Gott sei Dank hatte sie die Waffe niemals abfeuern müssen.
Als JD das Schlafzimmer betrat, schlug ihm ein widerwärtiger Gestank entgegen, und der Anblick der blutigen Laken auf dem Bett verschlimmerte seine Übelkeit noch. Bilder von seiner Mutter zuckten durch seinen Verstand, wie sie unter den Händen von Kione in diesem Bett Todesqualen erlitten hatte. Hastig wandte er den Blick vom Bett ab und trat zu dem kleinen Nachttisch daneben. Er öffnete die obere Schublade, schob ein paar Wäschestücke beiseite und fand den silbernen Revolver seiner Mutter. Weil sie ihn noch nie benutzt hatte, glänzte er wie neu. JD atmete einmal tief durch, dann nahm er die Waffe hervor und klappte die Trommel aus, um die Ladung zu kontrollieren. Sechs Patronen. Das ist die Waffe, mit der ich meine Mutter töten werde …
Es war ein unerträglicher Gedanke. Er musste würgen, doch wie schon zuvor gab es nichts mehr, das durch seine Speiseröhre nach oben hätte steigen können. Sein Magen war leer, seine Eingeweide geschrumpft. Ich kann das nicht tun . Dann fiel sein Blick zum ersten Mal auf das, was oben auf dem Nachttisch stand.
Eine Flasche Bourbon .
Er klappte die Trommel des Revolvers wieder ein und legte ihn neben einer Lache eintrocknenden Blutes auf das Bett, dann nahm er die Flasche. Sie war ungeöffnet und voll. Er starrte auf die braungelbe Flüssigkeit darin. Konnte ihm dieses Zeug vielleicht helfen bei dem, was er tun musste? Es war schließlich nur Bourbon. Alkohol, relativ konzentriert. War der Bourbon die Antwort? Würde er ihm die Kraft liefern? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
Der Deckel saß so fest auf der Flasche, und er zitterte so sehr, dass er Mühe hatte, sie aufzuschrauben. Nach einer
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