Das Buch Rubyn
Segeltuch verborgen war. Sie hatte braune Haare mit silbrigen Strähnen darin, und in ihren Augen lag ein sanfter Ausdruck, der Kate Vertrauen einflößte. Sie entwand sich dem Griff der Jungen und ging zu der Frau.
»Entschuldigen Sie.«
Die Frau schaute auf. »Ja?«
»Ich bitte um Verzeihung«, sagte Kate zögernd, »aber … sind Sie eine … Hexe?«
»Das bin ich. Brauchst du Hilfe?«
»Ja. Bitte.«
»Nun, dann tritt ein. Mal sehen, was ich für dich tun kann.«
Die Frau stand auf und lüftete einladend die Zeltabdeckung. Kate zauderte kurz und fragte sich, ob sie unklug handelte. Aber der Zweifel verflog so rasch, wie er gekommen war. Die Reise nach Cambridge Falls war lang und beschwerlich, und diese Frau war hier, direkt vor ihr.
Die Frau lächelte, als ob sie Kates Gedanken lesen könnte.
»Ich verspreche dir, mein Kind: Ich beiße nicht.«
Kate nickte und trat in das Zelt. Sie schaute hinter sich und sah, dass Jake und Beetles hektisch gestikulierten, sie solle zurückkommen. Dann ließ die Frau die Abdeckung über den Eingang fallen und die beiden Jungen waren verschwunden.
»Erst einmal das Wichtigste: Möchtest du Tee? Du siehst halb erfroren aus. Setz dich; hinter dir steht ein Stuhl.«
Zu Kates Überraschung war es im Inneren des Zeltes warm und gemütlich. Drei oder vier übereinander liegende Teppiche hielten die Kälte des Pflasters ab. Ein bulliger schwarzer Ofen, dessen Rohr hinauf durch das Zeltdach nach draußen führte, sorgte für angenehme Wärme. Gegenüber des Sessels, in dem sich Kate niedergelassen hatte, stand ein weiterer, und daneben eine hölzerne Anrichte, aus der die Frau einen kleinen irdenen Krug holte. Sie öffnete ihn, zog eine Handvoll grünschwarzer Blätter heraus und ließ sie in einen Topf rieseln, der auf dem Ofen stand. Kurz darauf erfüllte der Duft nach Pfefferminze das Zelt.
»Herrlich«, sagte die Frau. »Das erinnert mich immer an Weihnachten.«
»Ich habe kein Geld«, begann Kate. »Ich weiß nicht, wie ich Sie bezahlen …«
Die Frau winkte ab. »Darüber machen wir uns später Gedanken. Was hast du für Kummer? Geht es um einen Jungen? Ich bin berühmt für meine Liebeszauber.«
»Nein, es ist kein Junge.«
»Ärger mit deinen Eltern? Du wünschst dir mehr Verständnis? Rück doch ein bisschen näher an den Ofen, meine Liebe.«
Kate gehorchte. Ihre Zehen tauten auf und schmerzten, als das Gefühl in sie zurückkehrte.
»Es … geht nicht um meine Eltern.«
»Dann vielleicht ein Schönheitszauber? Obwohl ich nicht glaube, dass ich dich noch hübscher machen könnte.« Sie reichte Kate eine Tasse mit dampfend heißem Tee. »Trink das.«
»Ich muss in die Zukunft reisen.«
Die Frau erstarrte und schaute sie an. Sie gab sich keine Mühe, ihre Überraschung zu verbergen.
»Diesen Wunsch hört man nicht alle Tage. Und warum möchtest du das?«
»Weil … ich dort herkomme. Ich bin nur durch einen Zufall hier gelandet.«
Die Frau setzte sich in den anderen Sessel. Es war so eng in dem Zelt, dass sich ihre Knie und die von Kate berührten. Die Augen der Frau waren tiefblau und freundlich.
»Mein Kind, ich glaube, es ist besser, wenn du mir alles der Reihe nach erzählst.«
Kate schaute nach unten in den unberührten Tee. »Das ist kompliziert. Ich … darf Ihnen nicht alles erzählen. Aber die Magie, die mich hierher brachte, ist zum Teil noch in mir drin. Sie können sie benutzen, um mich nach Hause zu schicken. Das hat schon einmal jemand gemacht. Sie …«
»Was ist los mit dir, Kind?«
Kate begann, sich unbehaglich zu fühlen. Sie fing an zu schwitzen. Es war so eng hier …
»Nichts. Alles in Ordnung. Können Sie mir helfen?«
»Nun, ich will nicht so tun, als sei ich die mächtigste Hexe der Welt. Aber es ist tatsächlich Magie in dir. Ich habe es gleich gespürt, als du hereingekommen bist.«
»Also schicken Sie mich zurück?«
Kate hörte selbst, wie verzweifelt sie klang. Und sie hatte nicht die Wahrheit gesagt: Etwas stimmte nicht. Sie sah plötzlich alles verschwommen. Das Gesicht der Frau vor ihr war nur noch ein Schemen.
»Geht es dir gut? Gib mir das, bevor du es fallen lässt.«
Die Tasse wurde ihr aus der Hand genommen. Kate wollte aufstehen. Sie musste raus hier. Sie brauchte frische Luft, um wieder klar denken zu können.
»Wo willst du hin, Kind?«
»Ich will nur … ich muss …«
Und dann fiel sie nach vorne in eine bodenlose Dunkelheit.
Als sie erwachte, hörte sie Stimmen, und einen Moment lang glaubte sie,
Weitere Kostenlose Bücher