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Das Buch Rubyn

Das Buch Rubyn

Titel: Das Buch Rubyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Stephens
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führte zu einer weitläufigen Kammer, und sie sahen einen schmalen Pfad, der an der Wand entlang führte. In der Mitte der Kammer lag ein See aus schwarzem Eis. Michael spähte in die Tiefe und sah Wesen mit Klauen und Zähnen und Flügeln, die in ewigem Schlaf eingefroren waren. Der Tunnel ging auf der anderen Seite des Sees weiter und nach einer Weile wich das Eis und der nackte Fels wurde sichtbar. Erst waren noch hier und da Eiskristalle zu sehen, dann verschwanden auch diese. Michael zog die Skimaske aus, schlug die Kapuze zurück und öffnete seinen Parka.
    Dann schaltete er die Taschenlampe aus.
    »Michael …«, flüsterte Emma.
    »Ich sehe es.«
    Vor ihnen lag das Ende des Tunnels. Licht drang durch die Öffnung. Nicht das trübe, graue Dämmern des Schneesturms, sondern Sonnenlicht, golden, warm und hell.
    Aber das war nicht möglich. Michael wusste, dass es nicht möglich war. Und dann …
    »Michael, hörst du das?«
    »Ja.«
    Was sie hörten, war Vogelgezwitscher.

»Hast du davon gewusst?«
    »Nein.«
    »Du hast nichts davon in deiner Vision …?«
    »Nein.«
    »Weil … weißt du … es ist … Wow!«
    Ja, dachte Michael. Ganz recht: Wow!
    Sie waren aus dem Tunnel getreten und befanden sich weit oberhalb eines riesigen, halbmondförmigen Tals. Von der Klippe aus, auf der sie standen, fielen nackte Felswände fast zweitausend Meter ab bis ins Tal, das ringsum von schneebedeckten Bergen umgeben war. Michael schätzte, dass der Canyon mindestens zwei Kilometer breit war. Das Tal verlief in beide Richtungen, soweit das Auge reichte. Der Himmel war von einem reinen, kristallklaren Blau, und die Luft war warm und still. Weit unter ihnen bedeckte ein Teppich aus grünen Baumwipfeln den Boden des Tals.
    Michael überlegte, ob er ein Foto machen sollte, entschied sich aber dagegen. Ein Foto konnte die atemberaubende Schönheit dieser Landschaft nicht einfangen.
    »Aber wir sind doch am Südpol!«, rief Emma. »Hier sollte es Pinguine geben. Und Schnee. Und …Eisbären!«
    »Eisbären leben am Nordpol.«
    »Ach, du weißt, was ich meine. Das hier ist …«
    »Es ist das Buch«, fiel Michael ihr ins Wort. »Vor Tausenden von Jahren sah es hier bestimmt genauso aus wie am Rest des Südpols. Dann hat der Orden die Chronik des Lebens hergebracht und damit alles verändert.«
    Schweigend betrachteten sie das üppige grüne Tal. Dann sagte Gabriel: »Da.«
    Er deutete nach rechts. Hinter der Biegung des Tals, oberhalb eines Abhangs, schlängelte sich – kaum wahrnehmbar – ein dünner schwarzer Rauchfaden in die Luft.
    »Der Vulkan«, flüsterte Michael.
    »Erstaunlich«, wunderte sich Emma. »Du hast dich also nicht geirrt.«
    »Du musst nicht so überrascht tun«, beklagte sich Michael.
    »Aber ich bin überrascht«, sagte Emma. »Ganz ehrlich.«
    Ihnen wurde heiß. Sie fingen an zu schwitzen und entledigten sich so schnell sie konnten ihrer Polarausrüstung. Gabriel verstaute die Parkas und Stiefel, die langen Unterhosen, die Schneebrillen, Handschuhe und Mützen in der Höhle, damit sie für die Rückreise gerüstet waren. Michael bemerkte die blaugraue Murmel, die an seinem Hals hing und an die er in den letzten vierundzwanzig Stunden keinen Gedanken verschwendet hatte. Im Augenblick war nicht der rechte Augenblick, darüber nachzudenken, wer sie ihm geschickt hatte und zu welchem Zweck, aber Michael schwor sich, dass er den ersten ruhigen Moment dazu benutzen würde, sich die Murmel näher anzusehen.
    Von dem Plateau, auf dem sie standen, führten grob in die Klippe gehauene Stufen bis auf den Grund des Tals. Gabriel befestigte das Sicherheitsseil an seinem Gürtel und denen der Kinder.
    »Zuerst klettern wir nach unten«, sagte er, »und dann machen wir uns auf den Weg zum Vulkan.«
    Die Stufen waren jeweils etwa sechzig Zentimeter hoch und führten mehr oder weniger senkrecht hinab, sodass sie es eher mit einer Felsenleiter zu tun hatten. Einmal spähte Michael nach unten, um zu prüfen, wie weit sie noch gehen mussten. Er stellte fest, dass er sehr tief fallen würde, falls er den Halt verlor. Von da an richtete er seine ganze Aufmerksamkeit auf die nächste zu bewältigende Stufe. Je weiter sie nach unten kamen, desto wärmer und feuchter wurde die Luft. Michaels Brille rutschte ihm ständig auf die Nasenspitze und das T-Shirt klebte an seinem schweißnassen Rücken. Vogelrufe hallten durch das Tal und kurz darauf vernahm man das Plätschern von Wasser.
    Auf halbem Weg machten sie Rast. Gabriel verteilte

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