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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Brandgeschosse zogen hohe Bögen über den Himmel und sanken in steilem Winkel nieder, schlugen in Gebäude und die überfüllten Schneisen zwischen den Häusern. Die Vorstellung, was für Szenen sich in diesen Momenten dort unten abspielten, ließ Aelvin wie betäubt die Augen schließen. Favola schluchzte an seiner Seite auf, hatte sich aber sofort wieder unter Kontrolle.
    » Wir müssen hier runter «, sagte sie und wollte ihn bereits mit sich ins Turmesinnere ziehen. Auch Angehörige der beiden arabischen Familien, mit denen sie die letzten vier Tage hier oben verbracht hatten, drängten in die trügerische Sicherheit der Mauern.
    Aelvin blieb stehen und hielt Favola am Arm zurück. » Und wohin sollen wir gehen? Glaubst du wirklich, dort unten wären wir sicherer? «
    Einige Bogenschussweiten entfernt ertönte ein mächtiges Grollen, dann sahen sie das Minarett einer Moschee zerbersten, als wäre es aus Ton. Die Trümmer sackten in einer gewaltigen Staubwolke in sich zusammen und begruben die Menschen in den Gassen.
    » Es ist egal, wohin wir gehen «, sagte Aelvin, aber seine Stimme war so belegt, dass er selbst die Worte kaum hörte. » Die Steine und Feuerkugeln schlagen überall in der Runden Stadt ein. « Er ergriff Favola an ihren schmalen Schultern und erschrak, als er bemerkte, wie knochig sie sich unter dem groben Wollstoff ihres Mantels anfühlte. Die Reise hatte sie alle ausgezehrt, und vier Tage bei wässeriger Suppe hatten ein Übriges getan, sie abmagern zu lassen. Er musste plötzlich an ihr krankes Herz denken, und er fragte sich, wie sie sich überhaupt noch auf den Beinen halten konnte.
    » Ich will nicht unter diesem Turm begraben werden «, sagte sie fest.
    » In den Gassen trampeln sich die Menschen gegenseitig zu Tode «, hielt er dagegen. » Und wir könnten getrennt werden. «
    Ihr Blick war verzweifelt, doch sie hatte ihre Angst gut im Griff. Unten im Turm palaverten die anderen wild durcheinander. Etwas polterte. Vier Tage lang hatten sie die Tür zum oberen Bereich des Turmes verschlossen gehalten, damit nicht noch weitere Flüchtlinge aus den Gassen heraufdrängten, aber jetzt klang es so, als würde der Durchgang geöffnet.
    Sie fliehen, dachte er. Vielleicht hat Favola ja Recht. Vielleicht ist es falsch, hier oben auszuharren.
    Ein weiterer Feuerball zog eine Funken sprühende Spur über den dunkelroten Himmel.
    » Er kommt in unsere Richtung «, sagte Favola so tonlos, als hätte sie sich bereits damit abgefunden, dass ihr Tod kurz bevorstand.
    » Nein «, entgegnete Aelvin. » Denk an deine Vision. «
    Ihr Kopf ruckte herum, und während sie beide schreckensstarr warteten, ob das Geschoss den Turm wohl treffen würde, sah Favola nur ihn an. Etwas Beschwörendes lag in ihrem Blick.
    » Wir werden leben «, flüsterte sie.
    Sie spürten die Hitze der Feuerkugel, als sie nah an den Zinnen vorüberfegte. Funken und abplatzende Partikel sprühten über die Plattform wie ein Schwarm Glühwürmchen und prallten vom Stein ab, aber es waren zu wenige, um die beiden eng umschlungenen Menschen hinter der Brüstung zu gefährden. Das Geschoss fauchte wie ein Lebewesen, als es sie so nah passierte, dass Aelvin das Gefühl hatte, nur den Arm danach ausstrecken zu müssen. Das war Unsinn, gewiss – in Wahrheit war die Kugel mindestens einen Steinwurf weit entfernt. Als sie gleich darauf in das verschachtelte Gewirr der Dächer rammte, hatte Aelvin das durch und durch unwirkliche Gefühl, gerade etwas ungeheuer Schönes gesehen zu haben. Wie eine Sternschnuppe, die über den Himmel gezuckt war. Eine Sternschnuppe, die gerade Dutzenden von Menschen den Tod gebracht hatte.
    Ihm war, als erwachte er aus einem Traum, der sich nicht entscheiden konnte, ob er ihn zum Staunen oder Schreien bringen wollte. Ihm war plötzlich noch kälter.
    Als er sich abermals umschaute, war der Himmel schwarz. Keine weiteren Geschosse erhoben sich jenseits der Mauer.
    » Es hat aufgehört «, flüsterte Favola.
    » Das war ein Vorgeschmack «, murmelte er. » Eine Warnung. Vielleicht wollen sie mit dem Kalifen verhandeln. «
    » Dann werden sie mit weiteren Angriffen abwarten, bis er ihnen einen Antwort gegeben hat, oder? « Ein zarter Hoffnungsschimmer schwang in ihrer Stimme.
    » Schon möglich. «
    An mehreren Stellen der Runden Stadt stieg jetzt schwarzer Rauch auf, wo durch die Einschläge der Geschosse Bränd e a usgebrochen waren. In Anbetracht des Wassermangels war es fast unmöglich, die Feuer unter Kontrolle

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