Das Büro
unseren Atlas rezensieren wird.“
„Ja“, sagte Maarten neutral. Er schenkte Beerta Kaffee ein.
„Ho! Nicht so viel!“, warnte Beerta. „Wie bei de Bruin! Mensch, sieh doch mal! So viel habe ich mein Lebtag noch nicht getrunken!“
„Dann nehme ich ihn“, sagte Maarten. Er tauschte die Tassen aus und schenkte Beerta gerade so viel Kaffee ein, dass er nur eben den Boden bedeckte, und Beerta füllte die Tasse mit Milch auf.
Er schüttete drei Löffel Zucker dazu, rührte um, nahm vorsichtig, mit gespitzten Lippen, einen Schluck. „So ist es besser, wenn er auch nicht an de Bruins Kaffee heranreicht. So einen Kaffee kriegst du nirgends.“
„Und ich kenne keinen scheußlicheren Kaffee.“
Beerta schmunzelte amüsiert. Er wollte etwas sagen, wurde jedoch durch eine schon etwas ältere Frau unterbrochen, die sich ihrem Tisch genähert hatte. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, fragte sie auf Deutsch.
„Aber gerne, Frau Professor“, antwortete Beerta, ebenfalls auf Deutsch und mit einer steifen Verbeugung.
„Ach, ich bitte Sie, lassen wir doch das ‚Frau Professor‘“, sagte sie und zog den Stuhl zwischen Maarten und Beerta unter dem Tisch hervor. „Sagen Sie doch ‚Frau Kollegin‘.“
„Aber Sie sind Professor, und ich nicht.“
„Das hat zwischen uns doch keine Bedeutung, Herr Beerta. Wir kennen uns ja schon so lange.“
„Wie fanden Sie die Vorlesung von Professor Seiner?“, fragte Beerta, während die Frau eine Scheibe Roggenbrot auf ihren Teller legte.
„Sehr anregend, wie immer, wenn Seiner einen Vortrag hält.“
„Ich fand ihn ausgezeichnet“, pflichtete Beerta ihr bei. „Meiner Meinung nach ist er ein sehr großer Gelehrter, der für das Ansehen unseres Faches von größter Bedeutung sein wird.“
„Ganz Ihrer Meinung.“ Sie belegte ihre Roggenbrotschnitte mit Käse. „Völlig einverstanden.“
Es entstand eine Stille, in der sie alle drei mit ihrem Frühstück beschäftigt waren.
„Sie sind für heute Abend auch eingeladen?“, fragte Beerta.
„Zu den Seiners“, bestätigte die Frau. „Aber gewiss. Wir alle doch, oder?“
Professor Seiner wohnte in einem Pendlerdorf, eine halbe Stunde außerhalb der Stadt. Sie fuhren in einer grünen Straßenbahn hin, die vom Bahnhofsvorplatz abfuhr und am Fuß des Hügels endete, auf dem das Dorf gebaut worden war. Als sie ausstiegen, war es bereits dämmrig. Die Luft fühlte sich feucht an, es war windstill, und in der Stille der nahenden Dunkelheit erklang aus den Bäumen und Sträuchern der Gesang von Drosseln und Nachtigallen. In einer losenGruppe von etwa fünfzehn Mann stiegen sie den Hügel zu Seiners Haus hinauf, das irgendwo auf halbem Wege zur Kuppe stand. Maarten bildete den Schluss, zusammen mit einem Tschechen, der beim Mittagessen an seinem Tisch gesessen hatte, ein melancholischer, erschöpft wirkender Mann, der wenig sprach, wahrscheinlich auch, weil er, wie Maarten, schlecht Deutsch sprach. Er keuchte ein wenig, während sie hinter den anderen herstiegen, und blieb mitten auf dem Weg stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Maarten blieb ebenfalls stehen und schaute über das stille Land, wo in der Ferne hier und da Lichter angingen und aus dem wie Perlen der Gesang von Vögeln aufstieg. Ein merkwürdiges Land, das ihn in nichts an seine Heimat erinnerte, in der stillen Abenddämmerung jedoch etwas Zeitloses hatte. Er hörte die sich entfernenden Stimmen und Schritte der anderen und den schweren, etwas pfeifenden Atem des fremden Mannes neben sich, der wie er in die dämmerige Ferne sah. Der Mann holte tief Atem. „Es duftet nach dem Frühling.“
„Ja“, antwortete Maarten. „Frühling in Deutschland.“
„Ja“, sagte der Mann ergeben. „Deutschland.“
„Haben Sie unter den Deutschen gelitten?“ fragte Maarten.
„Sie haben meinen Bruder ermordet, meinen älteren Bruder.“ Es klang gelassen, mit einem Unterton von Bitterkeit.
„Schrecklich.“ Er wusste nicht recht, wie er auf diese Mitteilung reagieren sollte.
„Ja, schrecklich.“
Sie setzten sich wieder in Bewegung. Vor ihnen betraten die anderen den Vorgarten einer Villa und gingen auf die Tür zu. Das kurze Gespräch hatte Maarten in seiner Sympathie bestärkt. Er fühlte sich diesem Mann verbunden und betrachtete sie beide als Verbündete, die es in eine feindliche Umgebung verschlagen hatte. Das machte ihm Mut.
Seiner stand in der Tür und erwartete sie. „Willkommen! Willkommen!“, sagte er gastfreundlich. „Sie platzen mitten
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