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Das Büro

Das Büro

Titel: Das Büro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.J. Voskuil
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dann auf einen Platz am Seitengang, in einer der hinteren Reihen, wo, soweit es sich erkennen ließ, vor allem Studenten saßen. Nach einigem Suchen entdeckte er Seiner und Güntermann links vorne, Güntermann mit einem Schreibblock vor sich, zuhörend, während Seiner auf ihn einredete. Sonst kannte er niemanden. Ein alter, steif wirkender Mann mit rot angelaufenem Gesicht bestieg das Podium. Es wurde still. Er blickte in den Saal. „Meine Herrschaften, liebe Freunde und Kollegen.“
    Vom Rest drangen nur noch Fetzen zu Maarten durch. Er verlor das Interesse, machte zwar noch einen Versuch, das Deutsch zu verstehen, gab es jedoch bald wieder auf und erschrak, als plötzlich alle mit den Knöcheln auf die Pulte zu klopfen begannen, eine Form desApplauses, die ihm unbekannt war und an der er sich nicht beteiligte. Je weiter der Nachmittag voranschritt, erst mit dem Vortrag eines Professors, dessen Namen er sofort wieder vergaß, dann mit Seiners Vortrag, von dem er nicht einmal die Hälfte begriff, desto fremder fühlte er sich in der anwesenden Gesellschaft. Er beobachtete die Studenten um sich herum, verwundert über den Eifer, mit dem sie die Worte, die sich über sie ergossen, aufzeichneten, ein Ritual, dessen Sinnlosigkeit ein vernichtendes Urteil über die Künste enthielt, die hier dargeboten wurden. Eigentlich müsste man darüber ein Buch schreiben, dachte er, als ob es ein Negerstamm in Afrika wäre, und er lächelte, als er sich die heilige Empörung vorstellte, die dies hervorrufen würde. Doch die Freude verschwand sofort bei dem Gedanken, dass ihm in diesem Ritual ein Platz zugewiesen werden würde, und der Gewissheit, dass er sich in dieser Gesellschaft niemals angemessen würde bewegen können. Als Seiner endlich, gegen halb acht, zum Schluss kam und der Saal klopfte, war von diesen widerstreitenden Empfindungen nur noch eine übrig: Weg! Noch bevor der klopfende Applaus verklungen war, stand er auf und verließ vor den anderen den Saal. Er stieg die Marmortreppe hinab. Im Treppenhaus war es unnatürlich still. Hinter sich hörte er den Lärm der Horde, die den Saal zu verlassen begann. Mit großen Schritten durchquerte er die Halle, stieß die Eingangstür auf, rannte die Freitreppe hinab, lief mitten im Verkehr über die Straße, bog in eine Seitenstraße und verlangsamte dort seinen Schritt. Wie ein gewöhnlicher Spaziergänger nahm er eine weitere Seitenstraße und entfernte sich so im Zickzack in unbekannter Richtung vom Zentrum. Es war noch hell, und Frühling lag in der Luft. Er fühlte sich befreit, doch auch unwirklich, als befände er sich in einem Vakuum. Bei dem Viertel, in dem er gelandet war, handelte es sich um eine stille, bürgerliche Gegend mit älteren, etwas plumpen und mit grauem Zement verputzten Häusern, die vom Krieg verschont geblieben waren. Zwischen den Häusern befand sich ein Restaurant, das
Zum Adler
hieß und
gutbürgerliche Küche
versprach. Er ging langsam daran vorbei, doch weil die Fenster hoch über der Straße lagen, über einem Souterrain, konnte er nicht hineinsehen. Nachdem er noch einmal vorbeigegangen war, überwand er seine Scheu, ermutigtdurch die
gutbürgerliche Küche
, und trat ein. Es war ein dunkel dekorierter, schlichter Raum mit etwa einem Dutzend Tischen, von denen die meisten mit einem, manchmal auch zwei Gästen besetzt waren. Eine schon ältere, streng blickende Frau wies auf einen etwas abseits stehenden Tisch, als sei sie nicht gerade begeistert, dass so spät noch ein Niederländer hereinkam. Angespannt sah er sich die Karte an, die, soweit er es auf die Schnelle beurteilen konnte, nahezu vollständig aus Schweinefleischgerichten bestand, und bestellte dann auf gut Glück eine Suppe, ein Fleischgericht und ein Glas Bier. Während er, mit einer enormen weißen Serviette über den Knien, gedankenverloren seine viel zu heiße Suppe in sich hineinlöffelte, kam die Frau noch einmal vorbei, um die Vorhänge zu schließen, die mit Holzringen an einer glänzenden braunen Stange befestigt waren und von der Decke bis zum Boden reichten. Das ist also das Abenteuer, dachte er vage, bestärkt in der im Laufe des Tages verschiedentlich gehegten Vermutung, dass er für dieses Leben nur schlecht gerüstet war.
     
    Als er wieder auf der Straße stand, war es fast dunkel. Er lief durch die Stadt, durch ausgestorbene Einkaufsstraßen, gelangte an den Rhein, dessen Wasser im fahlen Schein der Lampen an der Uferpromenade mit hoher Geschwindigkeit in Richtung

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