Das Büro
Ende des sechzehnten Jahrhunderts. Damals ist ein Koning in die Stadt gezogen. Von dem stamme ich ab.“
„Das ist lange her.“
„Das ist die Familie meines Vaters. Der Vater meiner Frau war Züchter. Aber das hier habe ich von meinem Vater.“
„Ich wäre nicht so gerne Bauer“, gestand Beerta.
Maarten lachte. Er konnte sich Beerta nicht als Bauer vorstellen.„Nein.“ Er erinnerte sich an einen Bauern in Laguiole. „Wir waren vorigen Herbst in der Auvergne“, erzählte er, „– wir sind immer in der Auvergne –, auf dem Markt in Laguiole. Das ist einer der größten Viehmärkte in der Auvergne, Tausende von Kühen. Da stand ein Bauer mit einer einzigen Kuh, ein magerer Mann, mit einem verkrampften, ein wenig sanften, hysterischen Gesicht. Am Nachmittag stand er noch immer da. Es war da schon ein Stück ruhiger geworden, die Kühe um ihn herum, von anderen Bauern, hatte man längst abtransportiert. Ab und zu kamen Viehaufkäufer vorbei, aber er konnte die Kuh nicht verkaufen. Unter ihnen war ein dicker Händler, mit einem unglaublich unsympathischen Gesicht und so einem Stock. Der kam ein paarmal zurück. Nach seinem letzten Angebot rief der Bauer laut: ‚Non, non!‘, mit Tränen in den Augen. Eine Viertelstunde später sahen wir ihn mit seiner Kuh weggehen, zurück nach Hause.“ Er lachte. „Dieser Bauer bin ich.“
„Kein besonders guter Bauer also.“
„Nein, vielleicht ist das der Grund, weshalb der alte Koning in die Stadt gezogen ist.“ Er sah zu Nicolien. „Erinnerst du dich noch?“
„Ja“, sagte sie. „Es war ziemlich traurig.“
„Nicolien musste deswegen fast weinen.“
„Du auch.“
„Ich auch“, gab Maarten zu, „fast.“
„Aber du bist kein Bauer“, sagte Beerta. „Wollt ihr noch eine Tasse Tee?“
„Nein“, gab Maarten zu.
Sie bekamen eine zweite Tasse Tee.
„Natürlich kommt noch hinzu“, sagte Maarten nach einer Weile, „oder vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass ich die Arbeit so eines Bauern sinnvoll finde und das, was wir tun, völlig sinnlos. Wer hat schon etwas davon, dass ich mich wer weiß wie lange mit den Wichtelmännchen oder der Nachgeburt des Pferdes beschäftige.“
„Vielleicht niemand“, gab Beerta zu, „aber trotzdem kann es wichtig sein. Ich lese momentan eine Lautlehre des Beveländischen. Vielleicht bin ich der Einzige, aber ich lese es wie einen Roman.“ Er lachte ironisch.
Maarten lächelte. „Aber fühlen Sie sich denn niemals schuldig?“
Beerta sah ihn an und spitzte die Lippen. „
Ich bin ein Schuldner der Griechen und der Ungriechen, der Weisen und der Unweisen
“, rezitierte er, und danach, in normalem Tonfall: „Ich f-fühle mich immer schuldig. Deshalb bin ich jeden Tag aufs Neue dankbar, dass ich ins Büro darf. Ich frage mich, womit ich das verdient habe.“
„Und Sie finden das alles auch interessant?“
„Ich finde das alles gleichermaßen fesselnd.“
„Abgesehen natürlich von der Nachgeburt des Pferdes.“ Es lag eine gewisse Boshaftigkeit in seiner Stimme.
„Abgesehen von der Nachgeburt des Pferdes“, bestätigte Beerta mit einem prüden Lächeln. „Ich finde es ein ekelhaftes Thema. Ich wollte, wir hätten nie danach gefragt.“
„Aber du fühlst dich doch selbst nie schuldig?“, bemerkte Nicolien.
„Nein, aber ich frage es auch Herrn Beerta. Weil er seine Arbeit mag.“
Sie schwiegen.
„Und was hast du jetzt vor?“, fragte Beerta. Er sah ihn starr an.
„Nichts. Solange Sie Direktor sind, halte ich es schon aus.“
Beerta nickte. Es war ihm nicht anzusehen, wie er es aufnahm.
„Sie wollten mir noch Vorwürfe machen“, erinnerte ihn Maarten nach einer neuerlichen Stille.
„Vorwürfe?“, fragte Beerta erstaunt. „Was könnte ich dir vorwerfen, mein Junge? Ich habe keine Vorwürfe.“
Maarten sah ihn verwundert an.
„Ich hatte Angst, du würdest kündigen“, sagte Beerta. „Deshalb habe ich dem Gespräch mit soviel Schrecken entgegengesehen.“
„Ich wüsste nicht, wo ich hingehen sollte. Lehrer zu sein fand ich schrecklich, und ich darf gar nicht daran denken, zwischen den Dreckskerlen von der Uni zu sitzen. Dann bleibt wenig übrig.“
„Das Einzige, was ich an dir kritisieren könnte, ist, dass du nicht ehrgeizig bist, oder vielleicht bist du sogar zu ehrgeizig.“
Maarten lächelte. Er hörte die Bemerkung zwar, doch sie drang nicht zu ihm durch. Das Gespräch hatte ihn erleichtert. Er sah Nicolienan. „Gibst du mir meinen Tabak?“ Sie holte seinen
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