Das Büro
Angst
.“
Sie dachte nach. „Geht es nicht so:
Vor fast allem hab ich Angst gehabt
?“
Maarten hatte es gefunden. „Ja, du hast Recht:
Vor fast allem hab ich Angst gehabt! Vor dem Dunkel, vor Figuren an der Wand, vor der heis’ren Stimme meines Nachbarn, vor dem Fest, den Blicken im Café und vor mir selbst. Das sind die Ängste, denen ich gehörte.
“ Er las das Gedicht für sich selbst zu Ende, schlug den Band wieder zu und stellte ihn zurück. „Das handelt also nicht von dir. Verglichen mit dir ist Vasalis eine begnadete Person.“
Frans lachte. „Ja, so ist es wohl.“
Nicolien steckte die Kerze an. „Willst du eine Zigarette von uns?“, fragte sie, als Frans eine Zigarette drehen wollte. Sie hielt ihm die Packung hin.
„Ja, gern“, sagte er verlegen. Während er die Zigarette aus der Packung zog, machte er eine unwillkürliche Bewegung mit dem Oberkörper.
Maarten schob ihm den Ständer mit der brennenden Kerze hin, um ihm Feuer zu geben.
„Nein, lieber ein Streichholz“, sagte Frans.
„Warum?“, fragte Maarten erstaunt.
Frans errötete. „Ich denke, weil eine Kerze rein ist und eine Zigarette unrein. Geht es euch etwa nicht so?“
„Nein“, er lächelte boshaft, „sie sind doch beide weiß.“
„Ja, das ist natürlich so. Das würde dein Vater also wohl auch für Unsinn halten.“ Er errötete wieder.
Maarten lachte. Er spürte den verborgenen Stachel in der Bemerkung. „Das würde er sicher. Was das betrifft, ähnele ich also meinem Vater.“
„Du ähnelst deinem Vater kein Stück“, sagte Nicolien entrüstet.
„Natürlich ähnele ich meinem Vater.“
„Kein Stück!“, wiederholte sie drohend. „Sonst wäre ich nicht mit dir verheiratet!“
Maarten schwieg.
Frans blickte beunruhigt von einem zum andern. Er tippte die Asche seiner Zigarette in den Aschenbecher, den Nicolien ihm hingestellt hatte.
„Wie geht es jetzt in der Schule?“, fragte Maarten.
„Eigentlich nicht so gut. Der Schulleiter hat zu mir gesagt, dass er sich, wenn er in meiner Haut stecken würde, schon zweimal aufgehängt hätte.“
„Ist einmal denn nicht genug?“
„Das dachte ich eigentlich auch. Er hat natürlich einen dickeren Hals.“
Sie lachten.
Frans sah ihn an. „Aber das ist für dich natürlich eine Flucht.“ Gleich darauf blickte er rasch zu Nicolien.
Maarten zögerte. Die Feststellung hatte etwas Unheimliches. „Ja. Ich finde, man muss den Kopf über Wasser halten.“
„Ja, das finde ich natürlich auch“, sagte Frans hastig.
Sie schwiegen.
„Kennt ihr das auch, dass Leute auf der Straße nicht vor euch ausweichen?“, fragte Frans. Er blickte von einem zum andern.
„Manche“, sagte Maarten.
„Ich kann darüber unglaublich wütend werden, im Nachhinein.“
„Darüber kann man sich in der Tat aufregen.“
„Und was passiert, wenn man mal auf seinem Recht besteht?“ Er stotterte vor Aufregung. „Dann hört man: ‚Du bist ja komisch.‘ Man wird einfach nicht ernst genommen.“ Er sah zu Nicolien.
Nicolien lachte verlegen.
„Dafür gibt es natürlich Regeln“, gab Maarten zu bedenken. „Wenn du dich konsequent rechts hältst, bist du im Recht. Dann traust du dich auch eher.“
„Außer wenn jemand dicht bei seiner Tür ist.“
Maarten fand dies eine intelligente Bemerkung. „Oder wenn es regnet und auf deiner Seite jemand unter einer Markise entlanggeht“, sagte er nachdenklich, „dann ist es sehr schwer, sich sein Recht zu verschaffen, vor allem, wenn die Person älter ist oder wenn es sich um eine Frau handelt.“ Er erinnerte sich an einen Vorfall, der noch nicht so lange her war, und lachte. „Ich kam vor ein paar Tagen über die Brücke, in der Nähe des Büros, und da stand ein Auto halb auf dem Bürgersteig, so dass es nur noch einen schmalen Durchgang gab. Und gerade, als ich dazwischen hindurchgehen wollte, kam von der anderen Seite ein Mann, ungefähr in meinem Alter, ein Chinese. Er ging rechts, ich links. Ich zögerte, und er wich aus, um das Auto herum.“ Es amüsierte ihn noch immer. „Die Regel lautet also: Alt kommt vor jung, weiblich vor männlich, weiß vor gelb.“
„Und normal vor verrückt“, ergänzte Frans.
„Und natürlich normal vor verrückt.“
„Aber das ist doch furchtbar rassistisch?“, sagte Nicolien verstimmt.
„Natürlich ist das rassistisch, aber es ist eine Tatsache. Wenn ich in der Straßenbahn für eine Frau aufstehe, und es ist zufälligerweise eine Frau aus Indonesien, fühle ich mich viel
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