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Das Büro

Das Büro

Titel: Das Büro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.J. Voskuil
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der Brabanter Kunst des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts auf. In der Kirche finden Sie die Grabstätten des Heiligen Bonifatius, Pieter Breughels und Frans Anneessens’ …“, er unterbrach sich selbst, „Pieter Breughel! Das dürfen wir nicht verpassen!“ Er lief vor ihnen her zum Seiteneingang und ging zwischen den Kirchgängern ins Innere. Sie folgten ihm ins Portal. Das Kircheninnere lag im Halbdunkel. Der Geruch von Weihrauch und Kleidern schlug ihnen entgegen. Überall gingen und saßen Menschen. Kerzen brannten. Am Altar stand ein Priester, der die Messe las und dem zwei weitere Priester und einige Messdiener assistierten. Er sang den Text der Liturgie, und die Menschen in der Kirche antworteten. Beerta war am Eingang stehengeblieben, im Dunkeln. Sie schlossen sich ihm an. „Es ist schade“, sagte er leise, „aber wir können jetzt nichts besichtigen.“
    Maarten antwortete nicht. Er beobachtete die Menschen und die liturgischen Handlungen am Altar und lauschte. Leute gingen an ihm vorbei und betraten das Kircheninnere. Sie tauchten ihre Finger in das Weihwasserbecken, bekreuzigten sich und machten einen tiefen Knicks in Richtung des Altars, als sie am Mittelgang vorüberkamen. Es waren überwiegend alte, schwarzgekleidete Frauen, aber nicht ausschließlich. Als er sich umsah, waren Beerta und Nicolien verschwunden. Gegen den Strom folgte er ihnen nach draußen. Sie standen im grellen Sonnenlicht vor dem Eingang und warteten auf ihn.
    „Dem Reiseführer zufolge ist dies hier das Herz der Marollen“, sagte Beerta feierlich. „Wenn Karel mich hier sehen könnte, würde er denken, dass ich nicht ganz richtig im Kopf bin.“ Er steckte seine Brille und den Reiseführer wieder ein.
    Sie verließen den Boulevard und gingen in das Viertel hinein. Davon, dass es sich um ein Armenviertel handelte, war nichts zu bemerken. Verhältnismäßig hohe, langweilige Häuser in einer nahezu verlassenen Straße, die bis auf einen schmalen Streifen Sonnenlicht auf dem rechten Bürgersteig größtenteils im Schatten lag. Lediglich in den Seitenstraßen gab es genügend Sonne. An einer Ecke blieben Maarten und Nicolien stehen. Sie schauten in die Seitenstraße, während Beerta ein paar Schritte vor ihnen ungeduldig wartete. Sobald sie weitergingen, eilte er ihnen mit kleinen, nervösen Trippelschritten voran, ohne nach rechts oder links zu sehen. „Für mich ist das nichts“, sagte er, als er zum soundsovielten Mal stehengeblieben war, um auf sie zu warten. „Ich tue das, weil ihr es so gern wolltet, aber für mich war es das letzte Mal.“
    „Der Amsterdamer Jordaan ist viel armseliger“, fand Maarten.
    „Ja, aber wer interessiert sich schon für den Jordaan! Da kann man sich als anständiger Mensch doch auch nicht blicken lassen?“
    Zufällig kamen sie an einem Platz vorbei, auf dem gerade Markt war. Es standen dort lauter Marktstände, zwischen denen Gedränge herrschte.
    „Bücher!“, sagte Beerta. Er lebte sofort auf und eilte ihnen voran auf eine Ecke des Marktes zu, wo sich Stände mit gebrauchten Büchern befanden. „Seht mal!“, sagte er aufgeregt, als sie sich ihm wieder angeschlossen hatten. Er schob sich zwischen die Bücher, die Rücken an Rücken auf einem langen Tisch aufgereiht standen, und zog immer wieder einmal eines heraus. „Verlaine! Rimbaud! Sogar Gide! Sie haben hier alles! Wollt ihr nicht etwas kaufen?“
     
    Sie aßen in einem einfachen Restaurant beim Hallepoort. Auf dem Rückweg stiegen sie, durch das belgische Bier etwas schläfrig und träge geworden, die Stufen zum Justizpalast hinauf. Am Fuße des Palastes blieben sie stehen und sahen hoch. Beerta griff zu seinemBuch und begann zu suchen. „Der gewaltige Gebäudeblock des Justizpalastes wurde von 1866 bis 1883 erbaut, an dem Ort, an dem zuvor der Stadtgalgen gestanden hatte“, las er vor. „In diesem Bauwerk mit seiner 103 Meter hohen Kuppel gibt es mehr als 350 Säle. Es ist das größte im neunzehnten Jahrhundert in Europa errichtete Gebäude.“ Er schlug das Buch wieder zu und sah auf. „Das sagt mir nichts. Das ganze neunzehnte Jahrhundert sagt mir nichts.“
    „Vielleicht in zwei- oder dreihundert Jahren?“, schlug Maarten vor.
    „Zweifellos“, sagte Beerta ironisch, „das heißt zumindest, wenn ich dann noch lebe.“
    Sie drehten sich um und sahen über die Stadt. Es war etwas diesig, trotz der Nachmittagssonne. Die Autos auf dem Boulevard unter ihnen erschienen klein. Sie stiegen die Treppen wieder

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