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Das Büro

Das Büro

Titel: Das Büro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.J. Voskuil
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mir versprochen, dass er kein P-professor werden wird.“
    *
    Er zog die Tür hinter sich zu und zögerte einen Moment, bevor er nach links abbog, die Antoniebreestraat und die Brücke überquerte, um sich dann rechts zu halten und der Oude Schans zu folgen. Es war plötzlich Sommer. Er ging langsam, unter dem Grün der Bäume, und betrachtete gedankenverloren eine etwas schlampig wirkende Frau, die auf dem sonnigen Deck eines Wohnboots Kartoffeln schälte. Sie saß dort in voller Breite, barfüßig, in einem ärmellosen Hemd. Als er zu ihr hinübersah, blickte sie kurz auf und lachte ihm zu, worauf sie eine Kartoffel in den Eimer neben sich warf. Er wandte verlegen seinen Blick ab, betrachtete ein paar Schrottkähne, die am Ufer vertäut waren, und sah über das Wasser zum Kai auf der gegenüberliegenden Seite. Es war warm. Aus dem Schatten der Bäume kommend, spürte er die Wärme der Sonne bis tief in seinen Körper hinein, als träfe sie auf keinerlei Widerstand. Beim Bäckerladen an der Ecke zum Rechtboomsloot war die Luft vom Duft nach frischem Brot erfüllt. Das Wasser rund um den Montelbaansturm glitzerte, ein Ruderboot am Steg schaukelte sanft auf den kleinen Wellen. Er ging an den großen, farblosen Häusern der Binnenkant entlang, überquerte die Prins Hendrikkade und bog rechts ab, am Pollux und der Oosterdokskade vorbei zum IJ. Während er dort ging, dachte er daran, dass er hier wohl hundertmal vorbeigekommen war, als er noch studierte, doch er konnte sich nicht mehr erinnern, so als steckte er in einem
Dummy
aus der Vergangenheit, der ohne Inhalt war. Für einen Moment drohte er in Heimweh zu ertrinken, doch er drängte es beiseite. Ein Zug fuhr ratternd über die Eisenbahnbrücke, als er unter ihr hindurchging. Es roch dort nach Urin und Fäulnis. Er überquerte die De Ruyterkade und blieb am Ufer des IJ stehen. Am Wasser war es etwasfrischer. Es roch nach Meer. Er sah auf die kleinen Wellen, die aus dem Wasser eine tanzende Fläche machten, auf der hier und da kleine Boote ihre Spuren zogen.
    Als er zurückkam, war Hindriks in seinem Verschlag. Maarten blieb in der Tür stehen. Nach dem grellen Licht draußen musste er sich an die kühle Dunkelheit im Innern gewöhnen. Hindriks saß breitbeinig, in seinen Hosenträgern, die Hände auf den Knien, beim Gasherd und wartete darauf, dass das Wasser kochte. Die obersten Knöpfe seines Hemdes und seiner Hose standen offen, seine Krawatte hing vor der Brust. Das Wasser zischte im Kessel.
    „Was macht Ihr Asthma?“, fragte Maarten.
    „Oh, das geht ganz gut, mein Herr.“ Er sah Maarten mit seinem verquälten Froschgesicht treuherzig an. „Bei diesem Wetter geht es besser als wie wenn es dunstig ist, wissen Sie?“
    „Wie lange haben Sie das jetzt schon?“
    „Kann ich mich nich dran erinnern. Ich hatte das jedenfalls schon, als ich noch ein Junge war.“
    „Das ist lange.“
    „Das ist ziemlich lange. Aber wir leben noch, und ich sag immer: Solang es Leben gibt, gibt es auch Hoffnung.“ Er lachte vergnügt.
    Maarten lachte ebenfalls. „So ist es.“ Er ging weiter, schmunzelnd, ein Schmunzeln, das langsam wieder aus seinem Gesicht verschwand. So schön ist das Leben nun auch wieder nicht, dachte er. Die Tür zur Turnhalle war angelehnt. Er sah hinein. Niemand war dort. An der Garderobe hing eine alte Weste, die irgendwann einmal jemand dort aufgehängt, aber nicht wieder mitgenommen hatte. Er ging hintenherum und betrat durch die Hintertür das Zimmer von Fräulein Haan. Es war leer, bis auf van Ieperen. „Es scheint, dass alle weg sind“, bemerkte er.
    Van Ieperen kicherte. „Wenn das Wetter schön ist, müssen plötzlich alle ganz dringend in die Bibliothek. Studieren!“ Er schüttelte sich voll bösartigen Vergnügens.
    „Und Sie glauben das nicht“, konstatierte Maarten.
    „Aber natürlich glaube ich das“, er richtete sich auf und blies die Wangen auf. „Ich – glaube – alles!“
    Maarten war stehengeblieben.
    „Früher war ich jeden Nachmittag allein“, sagte van Ieperen vertraulich. Er nickte in Richtung des Hauptgebäudes und spielte damit auf die Zeit an, als er dort allein mit Beerta und Fräulein Haan gesessen hatte.
    „Wie lange ist das jetzt her?“, fragte Maarten.
    Van Ieperen dachte nach. „Na, lass mich mal nachdenken, du hast selber den Umzug mitgemacht, das wird also gut und gern sechzehn Jahre her sein …“
    „Ja, das ist sechzehn Jahre her.“
    „Hättest du damals bestimmt auch nicht gedacht, dass du hier

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