Das Café am Rande der Welt: Eine Erzählung über den Sinn des Lebens (German Edition)
den Tod war etwas ganz anderes gewesen. Ich wusste, dass ich am Ende der Unterhaltung eine tiefere Verständnisebene erreicht hatte. Nicht etwa, dass ich vorher in einem Zustand emotionaler Verzweiflung gelebt und mir Sorgen über den Tod gemacht hätte. Der Tod war nicht einmal etwas, worüber ich häufig nachdachte. Aber die Vorstellung, ein Leben zu führen, das meiner eigenen Bestimmung entsprach, sowie der Gedanke, dass sich dies darauf auswirken würde, wie ich jeden Tag erlebte, stießen in mir auf eine starke Resonanz.
»Man kann nicht befürchten, keine Möglichkeit mehr zu haben, etwas zu tun, wenn man es bereits getan hat oder es jeden Tag macht«, sagte ich zu mir selbst.
Ich wünschte, ich wäre früher darauf gekommen oder ich hätte es schon früher gehört. »Trotzdem«, überlegte ich, »reicht es nicht, das zu wissen. Es geht darum, die Dinge, die ich tun möchte, auch tatsächlich zu tun.«
10 Ich blickte erneut auf die Speisekarte.
warum bist du hier?
hast du angst vor dem tod?
führst du ein erfülltes leben?
Die Fragen kamen mir nun nicht mehr so eigenartig vor wie beim ersten Mal, als ich sie gelesen hatte. Sie waren mir mittlerweile recht wichtig geworden.
führst du ein erfülltes leben?
»Solange du lediglich weißt, warum du hier bist, aber nicht auch entsprechend handelst, wirst du keine Erfüllung finden«, sagte ich zu mir selbst.
»Aber es ist nicht immer so leicht, das umzusetzen, nicht wahr?«, meinte Casey.
Ich blickte auf, als sie gerade mein Glas nahm. »Nein, das ist es in der Tat nicht«, sagte ich. »Da muss ich nur an meine eigene Situation denken. Bei dem, was ich jeden Tag mache, weiß ich, was ich zu tun habe. Ich werde dafür bezahlt. Was aber geschieht, wenn ich mich frage, warum ich hier bin, und dabei herausfinde, was ich tun möchte? Was ist, wenn ich dann nicht weiß, wie ich es umsetzen soll, oder wenn ich keinen entsprechenden Job finde? Wie soll ich dann mein Geld verdienen? Wovon soll ich mich ernähren und wie soll ich etwas für den Ruhestand zurücklegen? Was ist, wenn ich diese neuen Dinge nicht gut kann, was immer es auch sein mag? Und was ist, wenn es sich um Dinge handelt, über die andere Leute lachen oder die sie nicht respektieren?«
Casey wartete, bis ich fertig war.
»Nehmen wir einmal an, dass jemand Schritt für Schritt versucht, herauszufinden, warum er hier ist. Und nehmen wir weiter an, dass er die richtige Antwort darauf findet. Glauben Sie, dass dieser Mensch angesichts dessen, was er entdeckt, begeistert sein wird?«
Ich versuchte, mir einen Moment lang vorzustellen, wie das wäre. »Sicher, das würde ich doch sehr hoffen«, meinte ich. »Wenn er wirklich herausfindet, warum er existiert, würde ich annehmen, dass es sehr spannend für ihn wäre.«
»Glauben Sie, dass dieser Mensch ebenso begeistert wäre, wenn er die Dinge täte, die seiner Bestimmung entsprechen?«, fragte sie.
Ich zögerte erneut. Die Frage erschien mir zu leicht. »Irgendetwas verstehe ich wohl noch nicht richtig«, dachte ich. »Sicher«, sagte ich. »Warum sollte er es nicht sein? Er wäre begeisterter und leidenschaftlicher bei der Sache als bei irgendetwas anderem.«
»Warum denken Sie dann, dass dieser Mensch möglicherweise keinen Erfolg hätte?«
Bevor ich antworten konnte, fuhr Casey fort.
»Sind Sie jemals Menschen begegnet, die absolut begeistert von dem waren, was sie jeden Tag taten? Die ihre Zeit offenbar mit etwas verbrachten, das ihnen wirklich Spaß machte?«
Ich überlegte. »Nicht vielen«, sagte ich, »aber ich kenne ein paar Menschen, auf die diese Beschreibung passt.«
»Machen diese Menschen ihre Sache gut?«, fragte Casey.
»Aber natürlich«, antwortete ich etwas sarkastisch. »Bei all der Zeit, die sie darauf verwenden, sollten sie ihre Sache schon gut beherrschen. Ich meine, sie lesen in ihrer Freizeit darüber, sie sehen sich Sendungen im Fernsehen darüber an, sie besuchen Kongresse zum Thema …«
»Und haben sie das, was sie tun, nicht irgendwann satt?«, hakte Casey nach.
»Nein«, antwortete ich. »Offenbar können sie nicht genug davon kriegen. Es ist, als würden sie Energie daraus schöpfen und …«, ich hielt mitten im Satz inne.
Casey lächelte mich an. »Haben Sie den Eindruck, dass diese Leute große Schwierigkeiten haben, Arbeit zu finden?«
Ich zögerte erneut. »Nicht die Leute, die ich kenne. Sie verstehen so viel von dem, was sie tun, und sind so begeistert davon, dass jeder
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